Dienstag, 17. Juli 2012

Vorbemerkung zu Terry Eagleton über Marx


Warum Marx recht hat.

Ein schöner, ein erfrischender Titel. Vor 20 Jahren hätten viele den Autor eines solchen Buches unbelehrbar genannt, oder ewiggestrig, vielleicht auch zynisch oder dumm, vor zehn Jahren noch trotzig, doch die Zeiten ändern sich. Heute macht es einen durchaus neugierig, was wir von Marx lernen könnten und können – sofern wir das nicht bereits wissen oder zu wissen glauben. Wir stehen knöcheltief in den Scherben der Wirtschaftskrise, ohne genau wissen zu wollen, wie weit der Pegel noch ansteigen wird, und betreiben einen beträchtlichen Aufwand an Verdrängung, um das Leben trotzdem zu genießen – trotz schlechter Nachrichten, Enthüllungen, Diagnosen und Prognosen, die uns eigentlich zwingen, uns aufzuregen und schlecht zu schlafen, auszuwandern oder einzufallen, sei es in die Chefetagen von Finanz- und anderen Konzernen oder in Parlamente und Parteizentralen.

Freimütig (und nicht ganz ohne Scham) räume ich ein, noch nie Marx im Original gelesen zu haben, resp. mehr als bloß Textfetzen und Versatzstücke. Ich meine sorgfältiges Lesen, nicht mit der rein historischen Brille, sondern mit der Erwartungshaltung, allenfalls etwas Neues zu erfahren. Mir scheint, ich bin da durchaus keine Ausnahme, jedenfalls hat mir noch nie jemand gesagt: »Ey, gestern habe ich mich im ›Kommunistischen Manifest‹ festgelesen« oder »Lies mal ›Die deutsche Ideologie‹« oder »Die Einleitung zu ›Das Kapital‹ finde ich krass heutig«. Schon eher hörten wir von unseren älteren Verwandten bekenntnishafte Berichte aus ihrer eigenen Jugend, wonach sie in der Gruppe oder alleine Marx (oder wahlweise Mao) beackert und diskutiert haben; dabei entfährt Ihnen ein Seufzer der Entschuldigung oder Sehnsucht, so genau läßt sich das nicht immer sagen. – Klar könnte man mir jetzt entgegenhalten: Du verkehrst eben in den falschen Kreisen resp. nicht in jenen Kreisen, in denen dir das früher oder später passieren würde. Hmhm, kann schon sein, weiß ich nicht, ich glaube eher, die meisten – selbst die engagierten Linken – machen einen Bogen um die theoretische Grundlagenliteratur und gehen einfach davon aus, dass sie bereits wissen, was dort so ungefähr steht (und was nicht). Aber bitte, ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Freiwillige vor.

Jedenfalls sah ich Eagletons Buch in der Buchhandlung liegen und wusste – jetzt. Wann, wenn nicht jetzt. Lass die belletristischen Neuerscheinungen für einmal kurz warten, schieb mal den Rousseau, den Kahnemann, Theresa Walser und Sibylle Berg zur Seite und lies das. Nur schon dieses Warhol-Cover, ein ewiger Hingucker, wer weiß, vielleicht habe ich das Buch ja vor allem deshalb gekauft. Marx goes Pop-Art. Wenn da nur so eine neutrale Studienausgabe gelegen hätte, von, sagen wir, meiner oder Suhrkamp edition, na, die wäre vielleicht meinem Auge entgangen. Wie sehr das im Sinne von Marx ist, so vermarktungsträchtig publiziert zu werden? Womöglich würde es ihn amüsiert haben, über sein Selbstironiepotenzial habe ich bisher noch nichts gelesen. Eagleton ist mir aus zwei Gründen nahe: Seine ›Einführung in die Literaturtheorie‹ war eine der erhellendsten Lektüren meines Studiums. Und dass er als »katholischer Marxist« gilt (das steht auf dem Buchumschlag), finde ich ausgesprochen erfrischend und erheiternd. Dass das geht, meine ich. Die meisten linken Leute, die ich kenne, wettern immer nur gegen Rom und gegen den Glauben sowieso (das Opium-Zitat hat’s ja zur Binsenweisheit geschafft), was ich schon immer unoriginell und unreflektiert fand. Weil sie meist nicht mehr über den Katholizismus wissen, als was in den gymnasialen Geschichtsbüchern steht oder in ihren Kreisen darüber gesagt wird.

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