Ein
schöner, ein erfrischender Titel. Vor 20 Jahren hätten viele den Autor eines
solchen Buches unbelehrbar genannt, oder ewiggestrig, vielleicht auch zynisch
oder dumm, vor zehn Jahren noch trotzig, doch die Zeiten ändern sich. Heute macht
es einen durchaus neugierig, was wir von Marx lernen könnten und können –
sofern wir das nicht bereits wissen oder zu wissen glauben. Wir stehen
knöcheltief in den Scherben der Wirtschaftskrise, ohne genau wissen zu wollen,
wie weit der Pegel noch ansteigen wird, und betreiben einen beträchtlichen
Aufwand an Verdrängung, um das Leben trotzdem zu genießen – trotz schlechter
Nachrichten, Enthüllungen, Diagnosen und Prognosen, die uns eigentlich zwingen,
uns aufzuregen und schlecht zu schlafen, auszuwandern oder einzufallen, sei es
in die Chefetagen von Finanz- und anderen Konzernen oder in Parlamente und
Parteizentralen.
Freimütig
(und nicht ganz ohne Scham) räume ich ein, noch nie Marx im Original gelesen zu haben,
resp. mehr als bloß Textfetzen und Versatzstücke. Ich meine sorgfältiges
Lesen, nicht mit der rein historischen Brille, sondern mit der Erwartungshaltung,
allenfalls etwas Neues zu erfahren. Mir scheint, ich bin da durchaus keine Ausnahme,
jedenfalls hat mir noch nie jemand gesagt: »Ey, gestern habe ich mich im ›Kommunistischen
Manifest‹ festgelesen« oder »Lies mal ›Die deutsche Ideologie‹« oder »Die
Einleitung zu ›Das Kapital‹ finde ich krass heutig«. Schon eher hörten wir von
unseren älteren Verwandten bekenntnishafte Berichte aus ihrer eigenen Jugend,
wonach sie in der Gruppe oder alleine Marx (oder wahlweise Mao) beackert und
diskutiert haben; dabei entfährt Ihnen ein Seufzer der Entschuldigung oder
Sehnsucht, so genau läßt sich das nicht immer sagen. – Klar könnte man mir
jetzt entgegenhalten: Du verkehrst eben in den falschen Kreisen resp. nicht in
jenen Kreisen, in denen dir das früher oder später passieren würde. Hmhm, kann
schon sein, weiß ich nicht, ich glaube eher, die meisten – selbst die
engagierten Linken – machen einen Bogen um die theoretische Grundlagenliteratur
und gehen einfach davon aus, dass sie bereits wissen, was dort so ungefähr
steht (und was nicht). Aber bitte, ich lasse mich gerne vom Gegenteil
überzeugen. Freiwillige vor.
Jedenfalls sah ich
Eagletons Buch in der Buchhandlung liegen und wusste – jetzt. Wann, wenn nicht jetzt. Lass die belletristischen Neuerscheinungen für einmal kurz warten, schieb mal den
Rousseau, den Kahnemann, Theresa Walser und Sibylle Berg zur Seite und lies
das. Nur schon dieses Warhol-Cover, ein ewiger Hingucker, wer weiß, vielleicht habe ich das Buch ja vor allem deshalb gekauft. Marx goes Pop-Art. Wenn da nur so eine neutrale Studienausgabe gelegen hätte, von, sagen wir, meiner oder Suhrkamp edition, na, die wäre vielleicht meinem Auge entgangen. Wie sehr das im Sinne von Marx ist, so vermarktungsträchtig publiziert zu werden? Womöglich würde es ihn amüsiert haben, über sein Selbstironiepotenzial habe ich bisher noch nichts gelesen. Eagleton
ist mir aus zwei Gründen nahe: Seine ›Einführung in die
Literaturtheorie‹ war eine der erhellendsten Lektüren meines Studiums. Und dass
er als »katholischer Marxist« gilt (das steht auf dem Buchumschlag), finde ich ausgesprochen
erfrischend und erheiternd. Dass das geht, meine ich. Die meisten linken Leute,
die ich kenne, wettern immer nur gegen Rom und gegen den Glauben sowieso (das
Opium-Zitat hat’s ja zur Binsenweisheit geschafft), was ich schon immer
unoriginell und unreflektiert fand. Weil sie meist nicht mehr über den
Katholizismus wissen, als was in den gymnasialen Geschichtsbüchern steht oder
in ihren Kreisen darüber gesagt wird.
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