Schauspielhaus Zürich, Theatersaison 12/13
Aufführung vom 29.11.12, Box im Schiffbau
Regie Bastian Kraft
/ Bühne Simeon Meier
/ Kostüme Inga Timm
/ Komposition & Arrangement Arthur Fussy
/
Mit Anna Blomeier,
Timo
Fakhravar, Fritz Fenne,
Arnd Klawitter,
Yanna Rüger
verspielt und visuell ansprechend, aber ohne Kraft und Leidenschaft
Die Drehbühne in der Box des Schiffbau ist ein beschränkter Raum, hübsch anzusehen und symbolisch mehrfach deutbar, wenn man so etwas mag. Erstes Angebot: Hier dreht sich einer beständig um sich selbst. Das kann man als Seitenhieb auf den Roman lesen, der etwas von einer Bauchnabelschau hat. Dieser Harry Haller hat durchaus das Potenzial dazu, einem auf den Wecker zu gehen – besonders weiblichen Lesern, sprich: Leserinnen, denen er wenige Identifikationsangebote macht. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass Frauen weniger Zugang zu der Lektüre und dem Stoff haben, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.
Harry Haller hat etwas extrem Larmoyantes,
Selbstmitleidiges an sich, auch etwas Naives, Kleinkindhaftes, da macht sich
einer einerseits wichtig, mit seinem Intellekt und seiner Misanthropie, und begibt
sich gleichzeitig in die embryonale Haltung, auf der Suche nach der großherzigen
Mama, die ihm die Brust gibt, die Mehrdeutigkeit ist dabei Absicht, und ihm die
Welt und ihn selbst erklärt. Ein Dreitagebärtiger im Schoß der Mutter Erde. Give me a break. Das hat durchaus etwas
Selbstironisches, wie mir besonders bei einer schönen Hörspielfassung
aufging, mit einer wunderbaren Anna Thalbach in der Rolle der Hermine, witzig,
klug und sexy. Dennoch besteht bei aller Selbstironie auch Klischeegefahr.
Bereits die Thematik: Hier der große Intellektuelle,
da das pralle Leben. Die faustische Suche nach der lebbaren Symbiose von
Körper und Geist wird überaus schwarzweiß dargestellt und hat insofern etwas
Pubertäres. Nicht umsonst begegnet man selten erwachsenen Menschen, die sich
nicht nachträglich von der Hesselektüre ihrer Jugendjahre distanzieren und
betonen, dass das bloß eine Art Lebensfahrschule war, die man getrost hinter
sich lassen kann, wenn man reif für differenziertere Auseinandersetzungen mit
Lebensthemen ist.
Dennoch möchte ich mich nicht allzu sehr distanzieren.
Sooo viel klüger als früher ist man dann doch nicht, wenn man mal ehrlich ist. Es lohnt sich auch als Post-Teenager, zwischendurch mal wieder in einen Hesse reinzulesen, es muss nicht gleich das Glasperlenspiel sein. Meine eigene Hesselektüre in Teenagerjahren beschränkte sich im Übrigen auf Narziss und Goldmund, Demian und Siddharta, den Steppenwolf ließ ich nach einem ersten Anlauf
ungelesen, mir war wohl der Protagonist zu verkopft. Manchmal sollte man
einfach weiterlesen. Egal.
Kehren wir zurück zur Zürcher Inszenierung. Die zweite
symbolische Lesart der Drehbühne liegt in ihrem Variété-Charakter: Das
›Magische Theater‹, in dem Harry sich selbst begegnet und das von dem südländisch angehauchten Lebenskünstler Pablo
moderiert wird, bildet als play in the
play einen Höhe- und Wendepunkt im Roman. Das Spiel mit den Identitäten und
Möglichkeiten hat etwas Unernstes, Theaterhaftes, und Simeon Meiers Bühne macht
daraus ein pars pro toto. Das Ganze ist von Anfang an nur ein Spiel.
Die Bühne ist also hübsch anzusehen. Hübsch ist auch
die Projektion der fünf Verkörperungen von Harry Haller in Großaufnahme auf dem
ersten der beiden hellen Vorhänge ganz zu Beginn. Tadaa! Überraschung! Drei
Männer und zwei Frauen stecken in diesem Zürcher Harry, gar nicht mal so viele, gerade noch übersichtlich. Und: das Männliche überwiegt nur knapp in Hesses
Alter Ego (3:2), auch das darf man getrost symbolisch und jungianisch lesen.
Wir sind alle eins, Mann, Frau, alt, jung. Entsprechend ist Hermine eine
Wiedergängerin von Harry altem Schulfreund Hermann. Demian läßt
grüßen – aber auch die androgynen Gesichtszüge der ›kirgisenäugigen‹ Mme
Chauchat, in die sich Hans Castorp in resp. auf
Thomas Manns Zauberberg unglücklich
verliebt.
Erst allmählich erkennt man den Livecharakter dieser projizierten
Bilder, nach und nach schimmern sie im Zentrum der Bühne durch. Von da an
werden munter Identitäten gewechselt, mal spricht der eine, mal der andere, es
hat etwas von einer Schultheaterinszenierung, wo die Aufteilung einer Figur in
mehrere Darsteller in aller Regel eine aus der Not (zu viele Kursteilnehmer) geborene Zwangsmaßnahme ist.
Ein erster Haken der Sache: Ein Roman ist eine
Erzählung, im Steppenwolf sind es sogar drei Erzähler, rechnet man das Traktat
hinzu, und zu Beginn wird denn auch hier nur erzählt, kaum gespielt. Interaktionen
sind Mangelware, es dominiert die Abstraktion, die Verfremdung, und es wirkt
zwischendurch immer wieder etwas bemüht und statisch, ja steif, wie sich die behornbrillten Steppenwölfe mal miteinander
verbinden und mal einander zum Publikum werden, je nachdem, wer
gerade das Wort führt. Die Figur des Sohnes der Vermieterin bleibt blaß und
konturlos wie in der Vorlage, dadurch gewinnt die Rahmengeschichte mehr Gewicht
als sie verdient, sogar die symbolträchtige Pflanze mit dem seltsam phantasyartig
klingenden Namen ›Araukarie‹ (die könnte glatt auf Mittelerde
wachsen) fehlt nicht. Stumm und grün steht sie eine Minute auf der Bühne rum.
Aha, das ist also eine Araukarie. Dank an die Regie. Nächste Einstellung, bitte.
Spätestens an dieser Stelle beginne ich an der
Inszenierung zu zweifeln. Die Flut der Requisiten, die hier ihren Anfang nimmt,
nimmt später leider kein Ende. Auch das ist zweifellos Teil des Konzepts des Variété-Theaters,
es hat etwas sehr Spielerisches und Anschauliches, Buntes. Aber auch etwas Gewolltes,
Ideenloses, Begrenzendes, Clowneskes. In der Szene des ›Magischen Theaters‹ kommen
dann sogar Sprechtafeln zum Zuge. Okay, kann man machen. Aber auch das wirkt
sehr bemüht, ein bisschen amüsant, meinetwegen. Zu mehr reicht es nicht. Also
was soll es dann? Man könnte meinen, das Konzept will sich hier über diesen
eher schwachen und phantasmagorischen Teil des Romans lustig machen. Sicher ist
so etwas schwer umzusetzen, aber eine Materialschlacht ist keine Lösung, das wird
deutlich.
So wirkt die Inszenierung zunehmend wie eine Nummernrevue,
eine Collage von nur lose zusammenhängenden Szenen, denen das Bleibende und das
Verbindende fehlt, was noch dadurch erschwert wird, dass man sich an keinem einzigen der fünf
Steppenwölfe festsehen und -fühlen kann. Zu viele Ichs. Das bessert auch nicht, nachdem die beiden
Darstellerinnen aus ihrer männlichen Rolle ausscheren und zur Hermine (selbstbewusst und
kühl, wunderbar gehauchte erste Worte, großartiges Kleid!) und Maria (zwischen
verschmitzt-kokett und laienhaft) mutieren. Zwar sind die Tanzszenen erheiternd
und unterhaltsam, aber das Spiel kommt nie über das Aufgesetzte hinaus, es
bricht nie aus dem sicheren Rahmen des bloß Dargestellten aus, man erschrickt fast, als einer der Harrys an einer Stelle mal
laut schreit. Was? Soviel Gefühl? Ist das Euer Ernst? Jetzt plötzlich?
Nein, das konnte mich nicht überzeugen. Das berührt
mich nicht. Und ich möchte im Theater berührt werden, auch wenn mir klar ist,
dass – wie eingangs gesagt – der Romanvorlage etwas Schablonenhaftes und Klischiertes, auch Flaches hat. Aber diese Art der Verfremdung (die mir in anderen Fällen sehr zusagt) scheint mir hier wie ein zu leichter Ausweg, da ist mir zu
wenig Herz dahinter, zu wenig Kraft, zu wenig Leidenschaft. Und mir scheint auch, dass das philosophische Potenzial des Romans, die Fragen, die er stellt, die Kritik, die er ausübt, nicht zum Zuge kamen. Dann ärgert es mich, wenn leichte, exemplarische Szenen wie die des Besuchs beim Professor lustlos und dämlich verulkt werden, aber der politische Zorn, der Unmut über das Ungenügen an der Welt keinen Resonanzraum erhält, dafür wird keine entsprechende Atmosphäre geschaffen. Ein gezielterer Einsatz der Musik (ein sehr schönes Leitmotiv hatten sie ja bereits) und eine etwas ruhigere Hand in manchen Szenen hätte hier schon manches bewirken können.
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