Regie: Margarethe von Trotta
Mit: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Julia Jentsch
Der
Beelzebub ist ein Niemand
Wenn
es eine Filmbiographie über eine Philosophin schafft, dass man neugierig wird,
Bücher in die Hand nimmt und zu recherchieren beginnt, dann ist ihr etwas
gelungen – sie hat einen interessanten Stoff inspirierend umgesetzt oder
immerhin so viel offen gelassen, dass man möglichst viele Lücken selber füllen
möchte. Nur schon die Eckpfeiler von Arendts Vita illustrieren die Brisanz des
Stoffes. Im Film werden sie weder vorausgesetzt noch der Handlung vorangestellt,
sondern nach und nach in die Ereignisse um 1961 eingeflochten.
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Kulturgeschichte
überlebt in Fetzen und Fragmenten – das ist mehr als nichts, aber nie auch nur
annähernd genug, um sich etwas darunter vorstellen zu können oder gar in
Ansätzen zu begreifen. So auch bei Arendts Diktum von der ›Banalität des
Bösen‹. Gehört hat sicherlich schon so mancher davon, vielleicht auch von
den näheren Umständen, dem Eichmann-Prozess. Doch was für eine Erkenntnis
dahinter steht und in welches Wespennest Arendt damit stieß – das ist schon
eine Erzählung wert.
Margarethe
von Trottas Film nimmt sich vor, Licht in die Begebenheiten zu bringen, die
dieser Geschichte gewordenen Formel vorangingen und folgten. Sie nimmt sich nicht
vor, Arendts Lebensgeschichte zu erzählen und eine Art Werkschau zu leisten. Arendt for
Dummies – das wäre für einen Spielfilm so mutig wie vermessen, denn
man hat vielleicht auch schon gehört, dass nicht nur Arendts Hauptwerk ›Vita
activa‹ (1958) keine leichte Lektüre darstellt. Less is more.
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Im
Zentrum steht die Tabubrecherin Arendt, die von ihresgleichen angefeindet wird,
weil sie nicht in das Horn stößt, das man ihr hinhält. Die jüdische
Intellektuelle, Autorin und Professorin ist ein anerkanntes Mitglied der
jüdischen Opfergemeinschaft, die Flucht aus Deutschland nach USA gelang ihr nur
mit einigem Glück, trotz Gestapo und französischem Internierungslager. Nun ist
der Krieg seit 15 Jahren vorbei, die Vergangenheit wird allseits und so gut es geht
verdrängt, und wie aus dem Nichts bietet sich eine einmalige Gelegenheit: Es steht derjenige
Mann am Pranger, der wie kein anderer die Effizienz des Holocaust verkörpert,
den industrialisierten Tod in Auschwitz. Und der angesehene New Yorker beauftragt Arendt, darüber zu schreiben.
Und
was tut Arendt? Sie zeigt nicht mit dem Finger auf ihn, sondern sie
philosophiert anhand seines Beispiels über die Natur des Bösen. Eichmanns
Auftritt in Jerusalem, die wiederholte Beteuerung seiner Unschuld und seine Argumentation führen ihr
etwas vor Augen, was niemand gerne hört: Das radikal Böse sei ohne Motiv außer
dem Gehorsam. Es gründe nicht in Hass und Menschenverachtung, nicht mal auf Lust an der Macht, sondern beruhteauf einer Verweigerung, sich als Person zu verhalten.
Was Eichmann zum Verbrecher mache, sei seine bequeme
Selbstbeschneidung, nicht seine dunkle oder verkrüppelte Seele: er denke nicht
nach, er entziehe sich der Eigenverantwortung, eine Nische, die das geltende
NS-Recht gewährte. Eichmanns Funktion war grauenvoll, er selbst ein nobody. Der Beelzebub ist ein Schuljunge.
Diese
philosophische Erkenntnis verblüfft Arendt selbst, und sie findet sie so
haarsträubend wie wesentlich, dass sie nicht darauf verzichten will, sie
ins Zentrum ihrer Überlegungen zu stellen. Das Urteil an sich – Eichmann wurde im Mai 62 hingerichtet – interessiert sie nicht, den Tod hat er alleweil verdient.
Außerdem thematisiert sie eine heikle Frage, die im Verlauf des Prozesses zur Sprache kam und nicht Eichmann betrifft, sondern die sogenannten Judenräte, die in manchen Ghettos an der Deportation gewesen sein sollen. Welche Schuld trifft sie?
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Mit ihren Positionen verweigert sich Arendt dem pauschalen Urteil und ihrer Rolle als Erfüllungsgehilfin einer offiziellen Lesart. Was an ihren Gedanken kühn, mutig und bedenkenswert ist, stößt beim Zeitgeist und bei maßgeblichen Interessengruppen vorwiegend auf Unverständnis. Vor allem überfordert es die meisten.
Sie muss sich absurde Vorwürfe gefallen lassen. Sie mache die Opfer zu Tätern, liebe ›ihr Volk‹ nicht, sei emotionslos und wolle die Nazis entschulden. Sie erhält Hass- und Drohbriefe, die Universität will sie entlassen, selbst enge Freunde wenden sich ab und der Mossad kündigt ihr an, dass ihr Buch in Israel verboten würde. Arendt stört an den Vorwürfen zweierlei: ihre Kritiker hätten ihren Text nicht gelesen (der 1963 als Buch herauskam). Und sie liebe tatsächlich keine Kollektive, keine Völker, sondern ausschließlich ihre Freunde.
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Schön, dass von Trotta die sich entspinnenden dramatischen Auseinandersetzungen nicht melodramatisch ausschlachtet, sondern zeigt, wie Arendt je nach Situation und Umfeld mal selbstbewusst reagiert, mal laut und angriffig, mal verletzt und sprachlos. Barbara Sukowa spielt sie zurückhaltend und uneitel.
Interessant, aber leider etwas unbefriedigend weil verkürzt, ist der Versuch, in zweierlei Hinsicht Berührungspunkte zu Heidegger herzustellen, dem schrulligen Philosophenrebell, der sich nach 1933 mit den Nationalsozialisten arrangierte.
Die Neigung zur kühlen Analyse und das Beharren darauf, die ›Leidenschaft des Denkens‹, hat die junge Arendt bei Heidegger gelernt. Das ist der eine, etwas vage Berührungspunkt. Und als Arendt von verschiedenen Seiten aufgefordert wird, offiziell zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, wird man Zeuge eines Waldspaziergangs, in dem die ehemalige Studentin dasselbe von ihrem einst verehrten und geliebten Lehrer fordert – bezüglich dessen umstrittenen Verhaltens in Hitler-Deutschland. Er verweigert sich – sie stellt sich. Der Film endet mit ihrer Verteidigungsrede an der Universität, kurz, aber intensiv inszeniert.
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Vor
›Hannah Arendt‹ hat Margarethe von Trotta schon die Biographien von Gudrun
Ensslin (1981) und Rosa Luxemburg (1986) verfilmt. Jede dieser drei Frauen hat auf eine
andere Weise politische Geschichte geschrieben. Was sie verbindet: sie alle
standen alle quer in einer männerdominierten Gesellschaft. Was sie
unterscheidet: Auf den Namen Luxemburg folgt auf der Stelle derjenige Karl
Liebknechts, auf den Namen Ensslin derjenige Andreas Baaders (oder Ulrike
Meinhofs) – der Name Hannah Arendt aber steht zumeist alleine. Nur unter
Eingeweihten flüstert oder zischt es – je nachdem – im Hintergrund ›Heidegger!‹.
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