Regie: Derek Cianfrance
Mit: Ryan Gosling, Eva Mendes, Bradley Cooper
Ungewöhnlich, mutig, mythisch
Abendfüllender Spielfilm, hieß es
früher manchmal, im Gegensatz zu 60minütigen Serienepisoden oder filmischen
Essays von unberechenbarer Kürze und oft schneidendem Inhalt. Um den Leuten zu
versichern, dass der Abend erlebnistechnisch gerettet ist und sie keine Angst
haben müssen, nach Ende des Films noch nicht ins Bett zu dürfen. Als ob ein
Abend nur 90 Minuten dauerte. Aber egal.
Und jetzt das.
Tot? Der Protagonist? Nach 45
Minuten? Das kann doch gar nicht sein? Ryan Gosling tot? Wie bitte?Ja und
jetzt? Wer ist das denn? Der Polizist? Was geht der mich denn an?
Man kann über ›The Place beyond
the Pines‹ nicht schreiben, ohne seinen kapitalen Regelverstoß an den Anfang zu
stellen. Das ist den Spoiler wert. Denn der Regelverstoß erweist sich als schön gewagt. So etwas
habe ich in einem amerikanischen Film noch nie gesehen, allenfalls
Vergleichbares (siehe Ende dieser Rezension).
Ryan Gosling, der neue Gott am
Himmel des interessanten und kommerziellen Hollywood, wird ausgewechselt, noch bevor zur offiziellen Halbzeit eines regulären Spielfilms
gepfiffen werden dürfte.
1: Dieses verdammte kleine Glück muss doch zu haben sein?
Bis zu diesem Zeitpunkt hat Gosling auf seine bekannt smarte Weise den todesverachtenden working poor gegeben, der mit seinem Motorrad verheiratet ist. Cooler geht's nicht, wie Luke Glanton auf dem Rummelplatz seine Stuntmanshow abliefert, da wird einem schon mal schwindlig. Dem geht eine klassische Spiegelszene voraus: der Gladiator bereitet sich auf den Kampf vor. Ein Evergreen, dieses Motiv. Morgan Freeman (›Seven‹ von David Fincher, 1995), aber vor allem der junge Robert de Niro stehen Pate (›Taxi Driver‹ von Martin Scorsese, 1976). Auch wenn Gosling meines Erachtens das Potenzial zur Spätnachfolge von America's Darling James Stewart hat: seine martialischen Körperlandschaften erzählen ohne Worte bereits viel von der mausbeinallein-elenden Vorgeschichte Luke Glantons – und lassen nebenbei vermutlich so manche(n) leise seufzen.
***
Ein wenig Sozialkitsch kommt hinzu, wenn Luke just in dem Moment, als er erfährt, dass er bei seinem letzten Besuch in der Kleinstadt mit der zartherben Romina (Eva Mendes) einen Sohn gezeugt hat, von seinem eigenen Vater erzählt, der nie für ihn da gewesen sei. Das hört man sich so an und denkt sich, na ja, dafür weiß ich sonst nix über dich, aber sei's drum. Denn das Drehbuch zieht es zum zentralen Problem (das sich dann als ein vorläufiges entpuppt): Romina hat zwar nach wie vor eine Schwäche für den wilden Luke, aber mittlerweile auch einen soliden Ernährer für den kleinen Jason gefunden. Es beginnt ein trauriger Kampf um ein kleines Glück auf tönernen Füßen, die bereits Risse aufweisen. Denn Romina muss sich zwischen Abenteuerleben und Solidität entscheiden.
Ein schräger Kumpel, Banküberfälle, Frühlingsgefühle, ein Kinderbett. Noch keine 45 Minuten sind um. da macht's bumm.
2: Vom Willen, ein guter Mensch zu sein
Der Wurm, der an Avery nagt, hat einen Namen: Ray Liotta. Surprise surprise. Dieses verkraterte Gesicht mit den kalten Augen hatte man schon fast vergessen. Da ist er mal wieder. Und man traut ihm vom ersten Moment an nicht über den Weg. Hier lehnt das Drehbuch an die unzählige Male erzählte Geschichte von der korrupten amerikanischen Polizei, ein Thema, das mich persönlich spätestens nach Curtis Hansons hervorragender Verfilmung von James Ellroy's ›L.A. Confidential‹ (1997) nicht mehr so richtig interessieren will, aber gut, hier ist es bloß ein Handlungsfaden von mehreren.
Zum Schluss
einige drehbuchtechnisch intelligente Filme, die mir auf Anhieb einfallen und die Überraschungen ähnlicher
Tragweite bergen: ›Shallow Grave‹ (Danny Boyle, 1994), ›The Shape of Things‹
(Neil La Bute, 2003), ›The Crying Game‹ (Neil Jordan 1992), ›The Usual Suspects‹ (Bryan Singer, 1995) oder Drehbücher von Charlie
Kaufman wie ›Being John Malkovich‹ (Spike Jonze, 1999), ›Adaptation‹
(Spike Jonze, 2002) oder ›Eternal Sunshine of the Spotless Mind‹ (Michel
Gondry, 2004) .
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