Donnerstag, 9. Oktober 2014

Phoenix (Christian Petzold, D 2014)



Regie: Christian Petzold
Mit: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf


Die Abgründe der ›Stunde Null‹

Die Handlung in aller Kürze

Nelly (Nina Hoss) hat das KZ mit schweren Gesichtsverletzungen überlebt und kommt ins zerstörte Berlin zurück. Nach ihrer äußerlichen Wiederherstellung durch einen plastischen Chirurgen, der ihr Gesicht  allerdings nur ihrem früheren Aussehen annähern kann, hat sie nur ein Ziel: Johnny, ihren Mann. Doch Johnny (Ronald Zehrfeld) nennt sich nun Johannes und erkennt sie nicht wieder. Bevor sie sich ihm erklären kann, schlägt er ihr ein Geschäft in Form einer Maskerade vor. Ihre nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit der vermeintlichen Toten soll ihnen zu deren Erbe verhelfen. Während der entsprechenden Vorbereitungen erschließen sich Nelly Antworten auf die Frage, wie es dazu kam, dass sie Ende 1944 deportiert wurde und welche Rolle Johnny dabei spielte.

Die simple Handlung wird schnörkellos und ohne Nebenhandlung erzählt, auf die herkömmlichen Rückblenden in vergilbte Vergangenheiten wird dankenswerterweise ganz verzichtet, der Spannungsbogen ist klar. 


›Oh man müsst's greifen können mit Fäusten‹

›Phoenix‹ lautet der Name des Clubs inmitten von Trümmern, in dem Nelly ihren Johnny erstmals seit Kriegsende wieder sieht und wo dürftig hergerichtete Fräuleins auf der Bühne amerikanische Siegermusik in der Sprache der Besiegten zum besten geben. Wo sich also die beiden eben noch verfeindeten Kulturen begegnen und einander die Hand reichen bzw. es miteinander treiben. Und wo Cole Porters ›Night and Day‹ gespielt wird, das musikalische Leitmotiv des Films. Tag und Nacht.

Zwei Welten wie Tag und Nacht. Das passt zum mythologischen Motiv des Phoenix. Der Titel ist Programm und setzt gleichzeitig ein Fragezeichen. Was ist es, das da aus der Asche des gewesenen Feuers wiederaufersteht? Was hat es mit dem gemein, das es vor der Asche war? Am Beispiel von Nelly und ihrer wundersamen Auferstehung wird veranschaulicht, welche Hypothek auf der Kontinuität lastet, die nach alles entblößenden Ereignissen wie Krieg und Völkermord behauptet und eingefordert wird. Damit es weitergeht, weitergehen kann. Das Vorher und das Nachher sind unvereinbare Welten, die Zäsur und das Dazwischen sind das Unaussprechliche, das Große Andere, sie überfordern uns, weil wir die eigene Ohnmacht zugeben müssten, weil die Kontingenz und das eigene Unvermögen gezeigt haben, wie wenig auf ein stabiles Wertesystem gebaut werden kann. 

Petzold hat das dramaturgisch geschickt gelöst, indem er sich die längste Zeit auf die langsame Annäherung der beiden Protagonisten konzentriert und diese bleischwere Thematik erst gegen Ende ins Zentrum rückt, was zu einer Steigerung führt, wenn sich das Zweierdrama zu einer Familienversammlungsszene öffnet. Wenn leere Gesichter und Sätze Bände sprechen. Und die ungesagten in der Luft hängen. ›Oh man müsst's greifen können – mit Fäusten‹ heißt es bei Büchner.


Die sprachlose Gezeichnete

In den meisten Rezensionen (z.B. hier) von ›Phoenix‹ wird ›Vertigo‹ (1958) als eine wesentliche Inspirationsquelle genannt. In beiden Geschichten steht eine Totgeglaubte im Mittelpunkt und will ein Mann eine Frau äußerlich so verändern, dass sie dieser totgeglaubten Geliebten ähnlich wird. Ihm genügt die Hülle, der Schein, den Rest besorgt ihm sein innerer Beamer, bei Hitchcock das Begehren, bei Petzold das Geld, letztlich das männliche Ego. Und die Frau spielt die fremde Rolle mit. 

Ja aber.
Diese Parallele in der Oberflächenhandlung ist nicht zu leugnen, die Drehbücher allerdings legen unterschiedliche Akzente und machen den Vergleich wenig fruchtbar, weil der zumindest vorderhand in die Irre führt. Hitchcocks schaurigschöne Fassung des Pygmalionmythos lebt vom begehrenden Blick des Mannes, der sich die Frau zurückwünscht, deren wesentlicher Zug darin besteht, sich ihm todessüchtig zu entziehen. Allerdings war sie von Beginn an eine Schimäre, eine Aufziehpuppe und ideale Projektionsfläche, her- und abgerichtet, um ihn zu verführen. James Stewarts narzisstische Liebe ist also die eines Getäuschten, der sich in die Phantasie seiner Täuschung zurücksehnt. Und seine Madeleine als sein Geschöpf ist eine Totgeburt. Bei ›Vertigo‹ stehen deshalb der Mann und seine Liebe in Anführungszeichen im Zentrum. Keine Madeleine ohne Scottie.

***

Johannes aber wünscht sich gar nichts zurück, wie es scheint. Nichts, das etwas anderem gilt als dem Geld, mit dem das Weiterleben erleichtert werden soll, wenn das Experiment glückt. Nur in ganz wenigen Momenten entsteht der Hauch eines Eindrucks, dass die neue Nelly in ihm etwas zum Leben erweckt, das mehr ist als der kleinkrämerische Unwille über Differenzen zu seiner alten Nelly. Tabula rasa. Stunde Null. Seine ›Mischehe‹ mit Nelly scheint unwirklich gewordene Vergangenheit, ihr inszeniertes Aufleben dient einzig dazu, an Geld zu kommen. Pragmatismus und Geschäftstüchtigkeit statt Trauer und Treue über den Tod hinaus. ›Keiner interessiert sich für deine Geschichten aus den Lagern‹, prophezeit er Nelly – und wird natürlich recht behalten.

Im Zentrum von ›Phoenix‹ steht nicht das männliche Begehren, sondern die traumatisierte Frau und ihre Leerstelle – das, was sie aus dem Reich der Toten, aus Auschwitz und dem dort Erlebten mitbringt und sie für andere nicht mehr erkenn- und mitteilbar macht. Fassungslos und passiv registriert sie die fundamentale Veränderung der einstigen Liebesbeziehung bei gleichbleibendem Personal. Und kann dazu nur schweigen. In diesem starren Schweigen ist Nina Hoss ganz zuhause, diese Rolle spielt sie bei Petzold nicht zum ersten mal, aber zum ersten mal im Kontext von Auschwitz.
In ihrer Erstarrung angesichts dieser unheimlichen Erkenntnis klammert sie sich an die Hoffnung auf eine erneut aufkeimende Liebe. Für skeptische Geister seien ein paar weitere Möglichkeiten hinzugefügt: Aus Verblendung. Weil es so schön ist, gebraucht zu werden. Weil es so schön ist, mal geliebt worden zu sein. Weil man darauf hofft, auch als als die geliebt zu werden, die man geworden ist. Vielleicht auch: Um den Mann auf die Probe zu stellen. Oder gar aus Fassungslosigkeit. Aus dem Bewusstsein heraus, dass Einsamkeit zur condition humain gehört und konsequentes Handeln daran nichts ändern würde. 


Aus dem Reich der Toten kommt man nicht unverändert zurück

Irgendein Rezensent beklagte auch, wie unwahrscheinlich es doch sei, dass Johannes Nelly nicht wiedererkenne – meines Erachtens eine kleinliche Kritik angesichts dem Anliegen des Films. Natürlich fragt man sich das und wartet auf den Moment, wo es klick macht oder machen müsste.   Zunächst mal lautet die Gegenfrage: wer erwartet nach mehreren Jahren die eigene Frau mit einem veränderten Gesicht zurück? Dann aber steht die äußerliche veränderung für das sichtbare Ausmaß des erlittenen Leids. Das steht Nelly ins gesicht geschrieben und auch ihren (aufrechten) Gang musste sie erst wieder neu lernen, weshalb Johnny in diesem Punkt auch unzufrieden mit ihr ist. 
Vorallem aber nimmt man diesen Umstand des Nichterkennens als erzählerische Notwendigkeit für die große Metapher hin, als Petzolds MacGuffin zur spezifisch deutschen Auseinandersetzung mit großer  Schuld und deren Virulenz für die Gegenwart.

Mir selbst erhellte sich ein Stück Kulturgeschichte. Lene (Kunzendorf), die Nelly dazu überreden will, mit ihr nach Israel auszuwandern, sagt einmal: ›Ich kann keine deutschen Lieder mehr hören‹. Der Satz ging mir nach, weil er mir eine einleuchtende (vielleicht ja banale) Antwort auf die Frage gab, wieso die musikalische Nachkriegszeit mehrere Jahrzehnte dauerte und erst ab Mitte der Siebziger von Leuten wie Udo Lindenberg und Nina Hagen beendet wurde. Das Deutsche in der populären Musik musste erst sein national verseuchtes Erbe antreten und durch die Untiefen des Schlagers waten, bis eine neue unbefangenere Generation wieder Lust darauf hatte, ernstere Inhalte in der Muttersprache zu hören und mitzusingen.    


Epilog: Petzold und Hoss

Zum Abschluss noch ein kurzer Epilog zum gemeinsamen Werk von Christian Petzold und Nina Hoss.

›Wolfsburg‹ hat mich angefixt, das war 2003 in einem kleinen Westberliner Kino: Graugrüne Autolandschaft, ein Mann fährt ein Kind an. Er begeht Fahrerflucht, sucht danach aus schlechtem Gewissen die Nähe zu der jungen Mutter und verliebt sich in sie. Der Junge stirbt an den Folgen, die Frau lässt sich auf die Werbungen des Schuldigen ein. Ahnt sie etwas? 

Petzolds sachliche Bildsprache und die tragisch schöne Sperrigkeit von Nina Hoss haben mich so bewegt und fasziniert, dass ich seither keinen Film der beiden auslasse. Es sind allesamt düstere Beziehungsdramen, sie erzählen von Brüchen und einer unwiderruflichen Einsamkeit, drehen sich um Themen wie Schuld, Begehren und Täuschung – und lassen einen nie unberührt. ›Phoenix‹, ihre sechste Zusammenarbeit, passt da sehr gut hinein und nein – auch dieser Film ist wie seine Vorgänger nichts für Freunde des Kinos als Popcornerlebnis. Aber ein Muss. ›Phoenix‹ hat mir mit seiner  parabelartigen Fokussiertheit und seinem gezielten und reduzierten Einsatz von erzählerischen und filmischen Mitteln etwas verdeutlicht, was andere Filme mit erheblich mehr Aufwand nicht leisten. 

PS. Vor kurzem war ich mal wieder in Berlin. Das Programm der Schaubühne war wie schon in den vergangenen Jahren so reizvoll, dass ich drei von sechs Theaterabenden dort verbrachte – zwei zu wenig, wie sich später herausstellte. Unter anderem sah ich Nina Hoss als abgründig-eisgekühlte Schwester und Gattin in Thomas Ostermeiers Adaption von Lillian Hellman's The Little Foxes (1939). Kammerspiel vom Feinsten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen