Mittwoch, 5. November 2014

Rosa's Schuh (Junges Schauspielhaus Zürich, 3.11.14)


›Rosas Schuh‹ 
Buch und Regie: Theo Franzs
es spielen: Fabian Müller (als David), Judith Cuénod, Daniel Kuschewski, Claudia Wiedemer
gesehen in der Matchbox im Zürcher Schiffbau am 3.11.14

kleine Matchbox – großes Theater

Ein Stück über eine große Jugendliebe und ein Rausch der Verstellung

Im Hintergrund der Bühne die Hälfte eines mannshohen Frauengesichts à la Warhol, in weiß, blau, schwarz, mit einem roten Mund, und zwar dreidimensional, zusammengesetzt aus kleinen angesprayten Gegenständen, am Boden liegen weitere rum. Sieht aus wie ein Puzzle, unfertig.

David erzählt uns die Geschichte von sich und Rosa, seiner Großen Angebeteten. Sie beginnt damit, dass sich Rosas Schuh in den Speichen von Davids Rad verfängt. Rosa fällt, das Bein ist lahm, Rosa hinkt. Die Liebe aber war schon zuvor und sie hört danach auch nicht auf. Eigentlich hört sie nie auf. Doch David sitzt unglücklich in seinem Stuhl. Was ist denn nun mit Rosa? Der Vielgeschmähten?

David erzählt seine Geschichte nicht alleine, sondern wird dabei von drei Leuten sekundiert: Von einer flammend roten Jule, die im weit ausgeschnittenen Ballkleid und mit oder ohne Cello bereits jederzeit scheint, Männer zu verschlingen. Von seinem Schulfreund Peter, dem der braune Anzug etwas Überlegen-Erwachsenes verleiht und der im Verlauf der 75 Minuten gerne als Zeremonienmeister figuriert. Und von Rosa, die etwas Verwachsenes an sich hat, wenn sie mit gepolstertem Hintern im grauen Rock auf der Bühne rumstakst. Grausame Kindheit. Vom Rad gefallen. Aus der Traum.

Davids drei Altersgenossen mit den weiß geschminkten Gesichtern sind aber mehr als Sekundanten, Sie wechseln ab zwischen der Rolle seiner inneren Dämonen und ihren Verkörperungen von Jule, Peter und Rosa. Sie hinterfragen ihn, sie plagen ihn, sie spielen mit ihm. Seine Erinnerung weicht ab von der ihren, oft wird gestritten darüber, wie etwas gewesen ist, und David, das stellt sich bald raus, muss sich öfter fügen, als ihm recht ist, und das bis zuletzt.

Das Spiel auf der kleinen Bühne mit den wenigen Mitteln ist so fantasievoll, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen habe: Es lebt von Wortakrobatik, Tempo und vollständiger Überdrehtheit. Mit wahnwitzigen Satzkaskaden in überhöhter Geschwindigkeit überbieten sich die drei Bleichgesichter gegenseitig, wenn sie beispielsweise ihre Version der Geschichte zum besten geben oder eine neue Situation einleiten. Mal bedrängen sie den verunsicherten David und übernehmen die Regie, blasen sich grotesk auf, singen, spotten, schießen ihre Pfeile ab. Dann wieder ziehen sie sich in eine Ecke zurück oder auf eine der Leitern, auf das fahrbare Bett im Hintergrund oder in eine erstarrte Maske. Tun unschuldig und unbeteiligt und lassen David gewähren.

Der Chefblick ins Publikum ist die häufigste Pose. David ringt um unsere Gunst, schüttet uns sein Herz aus, sucht nach Antworten. Die anderen spiegeln kühle Distanz, höhnische Skepsis. So nimmt die Erzählung rasch Fahrt auf, wir werden dauernd einbezogen, durch eine Achterbahn der Ereignisse, Gefühle und Versionen der Wahrheit gejagt, die ganze Partitur der Gefühle wird gespielt.

Die Nähe zum Spiel, der dauernde Rhythmuswechsel und die Atemlosigkeit der Erzählung funktionieren wirklich überzeugend. Hier ist ganz viel gelungen. Kann man sich gut zweimal ansehen.

Ob eine Wiederaufnahme folgt, ist noch unklar – siehe der Spielplan des Jungen Schauspielhauses.

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