Geschichten
aus Amerika, von denen wir uns wünschten, dass sie nicht wahr wären
Kevin
Spacey ist großartig. Ein großartiges Schwein. Abgefeimt, mit allen Wassern
gewaschen, nie um eine flapsige Bemerkung oder eine glatte Lüge verlegen. Und –
als individuelles Schmankerl – er zitiert gerne Hollywood-Oneliner aus dem
Dolph-Lundgren-Regal: »Let’s kick some ass.« Yeah Baby.
Spacey
spielt den Lobbyisten Jack Abromoff, den es, wen wundert’s, tatsächlich gab und
immer noch gibt. True story also. Mal wieder. Frage: Wurde eigentlich jemals
ein Drehbuch über das amerikanische Politgewerbe verfilmt, das komplett frei
erfunden war? Eine außerirdische Vorstellung: Man läuft raus aus dem Kino und sagt
seiner Freundin: ›Krass, stell dir mal vor, wenn es das wirklich gäbe, und dann
noch im Weißen Haus – never ever. Ist ja bloß ein Film.‹
Dazu
ein kurzer Abstecher in die Antike: Good old Aristoteles rückte bereits vor
über zwei Jahrtausenden Geschichtsschreibung und erzählende Literatur in eine
schwüle Nähe: jene erzähle, wie es gewesen sei, diese, wie es hätte gewesen sein
können. Eine haarscharfe Linie, kaum
mehr als ein Membran. Damit bricht er eine Lanze für die von verirrten
Wissenschaftsaposteln und Realitätsfetischisten gerne als rein fiktiv ergo
irrelevant gescholtene Weltdarstellung durch die ars poetica.
Für
das vorliegende Genre, das amerikanische Innenpolitdrama (diesen Gattungsnamen
habe ich gerade erfunden) à la The Ides
of March, das seit Jahren einen Boom erlebt, gilt mit Blick auf Aristoteles:
die beiden Disziplinen nähern sich der Deckungsgleichheit. Wake up. Alles real.
Spitze des Eisbergs usw. Dabei klappt einem während des Films immer mal wieder
der Kiefer runter und man ist versucht, zu wiederholen, was hitlergläubigen
Deutschen öfter entfahren sein soll, wenn sie mit Verbrechen der eigenen
Regierung konfrontiert wurden: »Wenn das der Führer wüsste!« – Sorry, Leute. Er
weiß es. Schon lange.
»Let’s
kick ass.« Dolph Lundgrens Muskeln, auf das Handwerk der Lobbyisten übertragen,
sind: eine große Klappe, Schauspiel- und Improvisationskunst und raffiniertes,
skrupelloses networking. »If you need a friend in Washington, get yourself a
dog«, zitiert der Lobbyist Abromoff den ehemaligen Präsidenten Harry Truman.
»We don’t have friends. All we have, are people you do business with«, muss
sich Abromoff von seiner tapferen Gattin gegen Ende des Films vorwerfen lassen.
Natürlich,
auch das ist nichts Neues. Freunde wären ein Hindernis in diesem Roulette des catch-as-catch-can. Wer an die Spitze will, kann sich so etwas
Sentimentales wie persönliche Bindungen nicht leisten, das hieße ja,
verbindlich sein zu müssen, nicht andauernd die Richtung ändern zu können. Das
muss man üben, im Kraftraum des täglichen Arbeitslebens.
»I
work out every day«, lautet Jacks Lebensmotto, deutsch mit ›Ich gebe nie auf‹ untertitelt.
Die wörtliche Übertragung ›Ich trainiere täglich‹ scheint mir sinnfälliger. Der
Satz ist die Verkörperung des amerikanischen Traums in schwarz: Betrüge, wo du
betrügen kannst, die anderen tun es doch auch. Der Filmtitel funktioniert auf
zwei Ebenen und ist insofern Programm. Der politische Kampf um die Vergaberechte
von einträglichen Spielcasinos bildet die Binnengeschichte, den Rahmen und das
eigentliche Thema des Films aber bildet das große politische Spiel darum, wer
bei diesem Vergabeprozess wen besticht. Und wer draufzahlt.
Kevin
Spacey verkörpert den Lobbyisten so überzeugend, dass es einen friert. Der
Größenwahn und der Personenkult, den er und sein Kumpan entwickeln, stehen im
Kontrast zu der vorgegaukelten (oder gar wahrhaftigen?) und jedenfalls komplett
ironiefreien Religiosität, ohne die es – wir sind schließlich im Amerika des
21. Jahrhunderts – auch in diesem
skrupellosen Kampf um Einfluss und Geld nicht geht. Egal ob Jude oder Christ. Herrlich
anzusehen, wie drei grimmige Politiker, bevor sie einander an die Gurgel gehen,
im Sitzkreis an den Händen fassen, um zu beten. Wie Bluthunde, die sich
vorübergehend selber an die Leine nehmen. Kevin Spaceys Gesichtsausdruck in
diesem Moment ist unbezahlbar.
Unbezahlbar
auch die Einstellung mit dem roten Spitzenhöschen am hoch hängenden Lüster in
der Villa seines Bruders und Partners. Sex bringt die Welt ins Rollen. In USA
sowieso. Nirgends sonstwo gehen Frömmigkeit und Triebgesteuertheit derart freimütig
einen Tanz miteinander ein, als ob nichts dabei wäre. Dazu passt ein Zitat aus
einem Artikel von Adam Soboczynski in der aktuellen ZEIT (No.30, 19.7.12): »Der
propagierten Moral ist in Amerika stets die Pornoindustrie beigesellt, der
Bigotterie im Mittleren Westen die Prostitution in Nevada, dem Oval das Oral
Office.«
Die
Männer haben die Rechnung ohne ihre Frauen gemacht. Das Spiel ist aus. Aus? Das
Spiel geht weiter. Und Filme wird es weiterhin dazu geben. Der Stoff wird ihnen
nie ausgehen. Dazu sind sich das Regierungsviertel und die Geschichtenfabrik in
den Hügeln von LA zu ähnlich. »Washington is Hollywood with ugly faces«, sagt
Abromoff.
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