»Geschichten,
die so beginnen, haben nie ein gutes Ende.« (S. 53)
Sämtliche
zehn Figuren dieses Romans leben und lieben konsequent aneinander vorbei. Vera
und Helge sind bereits zu lange verheiratet und haben sich nichts mehr zu sagen.
Während er als frustrierter Barpianist im Marriott
routinemäßig einsame angetrunkene Geschäftsfrauen beschläft, in narkotisiertem
Zustand und gegen Bezahlung, flieht sie – wider bessere Ahnung – mit einem viel
zu jungen Möchtegern-Rockstar nach USA, auf der Suche nach Zerstreuung und dem
Ereignis, das ihrer Wahrsagerin, die sie erst auf diesen Gedanken brachte, die
Sprache verschlug. Ihr erschrockenes Gesicht scheint Vera eher anzuspornen als
davon abzuhalten, dieser selffulfilling prophesy nachzugehen.
Ohne
sich dessen bewusst zu sein, macht sie es damit ihrer 17jährigen magersüchtigen
Tochter Vera nach, die auf einer Reise in die Selbstentfremdung an einem
trostlosen spanischen Küstenstrich herumirrt, dessen äußere Wüstheit mit ihrem Inneren
korrespondiert: »Jeder kann mich haben. Es macht mir nichts. Es ist besser, als
alleine zu sein.« Sie übergibt sich vorübergehend einem genauso verlorenen Teenager
namens Thomas, der sich in seinem pechschwarz angemalten Keller dem
Sadomasochismus verschrieben hat.
Was
Vera auch nicht weiß: der verkappte Jaggerverschnitt namens Pit, ein Rohrkrepierer
von Flirt, war – ausgerechnet – die neue große und unglückliche Liebe ihrer
besten Freundin Bettina, einer Kulturjournalistin im Einsamkeitstaumel. Die
Tochter einer Alkoholikerin und Selbstmörderin hat sich vom Glauben an den
Märchenprinzen verabschiedet. Umso verzweifelter ist sie dazu bereit, sich
komplett aufzugeben und dem grobschlächtigen Pit in die verschränkten Arme zu
werfen:
»Wir sind die Generation der Beschissenen. Ich weiß nicht von
wem und von was. Vielleicht weil sie uns die Unschuld genommen haben. Den
Glauben an einen Sinn. […] Noch nicht mal Liebe ist ein Geheimnis. Da wissen
wir, daß es um Hormone geht, um die Paarung, um Evolution. […] Ich merke genau,
daß die ganzen Männer, die ganzen Leidenschaften, austauschbar sind. Aber ändern
kann ich es auch nicht. Jedesmal glaube ich an die Erlösung von was?« (46)
Gleichzeitig
mit den Irrfahrten seiner beiden Frauen entdeckt der Familienvater Helge seine
Homosexualität in – ja, wo wohl? – in Venedig. Man ahnt es auch ohne Thomas Manns
Novelle zu kennen (Der Tod in Venedig,
1912), der Ausreißer wird nicht zu seinem Besten enden, und dennoch anders als im
Falle des todessehnsüchtigen Leistungsasketen Gustav von Aschenbach.
Sibylle
Berg stellt diese und noch einige weitere Figuren unterschiedlichen Alters in
die Mitte von Lebenskreuzungen mit jeder Menge Sackgassen und wir sehen ihnen dabei
zu, wie sie halbbewusst den falschen Weg wählen. Was sie verbindet, ist die Neigung,
ihrer jeweiligen Intuition, Sehnsucht und Laune zu folgen, zumeist gegen
besseres Wissen, und damit treffsicher die falschen Entscheidungen zu treffen. Wie
angezählte Wespen in einem geschlossenen Bierglas taumeln sie immer wieder nach
unten, in die tiefe Orientierungslosigkeit ihres Selbst.
In
ihnen steckt der Tod, wie der Titel bereits verrät. Er wartet, bis er zuschlagen
kann. Die Angst vor dem drohenden Ende eines nichtausgeschöpften Lebens äußert
sich in Gewaltexzessen, vorgestellten wie realen. Im Titel steht aber auch
etwas vom Lachen. Und tatsächlich: In dem düsteren Roman steckt jede Menge
Humor, schwarzer, derber wie subtiler. Der folgende Auszug, der beides illustriert,
spielt sich in Bettinas Kopf während einer Vernissage ab, als sie sich von
einer anderen Frau mit Blicken angefeindet fühlt:
»Sie hat wirklich extrem häßliche Fesseln. Ich schau die
Fesseln an. Seh mich langsam zu Boden gehen. In die Fesseln beißen. Die
Strumpfhose zerfetzen. Ihr Stücke davon in den Mund schieben, mit dem, was
nicht in den Mund paßt, im Gesicht rumreiben. Die Schminke gut in die Haut
einarbeiten. Ein paar Schritte zurückgehen, Anlauf nehmen. Mit einem Sprung mit
meinen Schenkeln ihren Hals umspannen. Die Schenkel gut straffen, das Gesicht
wird rot. Mit zwei Fingern lässig in die Nasenlöcher, die dann weiten. Beim
Absteigen ihr teures Kleid zerlegen. Die Fetzen in ihren Gesäßfalten verstauen.
Ein Lied anstimmen. Sie nackig nehmen, wie sie ist, wegen der Strumpfhose und
der Schminke und sie zum Büfett ziehen. Drauf rumwälzen. Kleine Gurken in ihre
Ohren pressen. Hühnerkeulen unter die Achseln. Die Arme dann runterdrücken wie
Schwengel, zermalmen Hühnerbeine. Dann weggehen. Grußlos. Unten auf ihren PKW
springen, Dellen rein. Tür eintreten. PKW anzünden.« (S. 59)
Immer
wieder offenbart uns Sibylle Berg den Blick in solche tiefschwarzen Abgründe ihrer
Figuren, die einem leidtun, über die man lacht, die einen anwidern, von denen
man sich distanziert, die man zu kennen glaubt, denen man sich verwandt fühlt. Sie
hat bereits in ihrem Erstling ihre eigene Sprache gefunden, den Berg-Sound, in
Ermangelung einer anderen Kategorie nenne ich ihn hier mal expressionistische Gebrauchsprosa,
kurzatmig, phantasievoll, kompromisslos unverblümt, mitleidslos und makaber, bis es weh tut.
Die mal explizite, mal verfremdete Darstellung von Innenwelten, das
experimentelle Spiel mit einer fragmentierten Syntax, die Überzeichnung und immer
wieder das Groteske scheinen mir von der Prosa von Döblin, Grass und Jelinek
inspiriert:
»Kalt wird es in der Wüste des Nachts, wenn da keiner lebt und
alles zehn Stunden weit weg ist. Nichts können zwei Männer da machen als sich
ein wenig Mut. Dass sie morgen loslaufen können, wenn es hell ist, durch die
Hitze in der Wüste, den Sand und die Dornen. Und vielleicht anzukommen, wo
einer lebt, bevor der Mensch stirbt, wenn er drei Tage kein Wasser bekommt.
Einige Wüstentiere hatten ein paat Tage später viel Spaß dabei, die beiden
Männer verblöden zu sehen, beim Verdursten.« (S. 180)
Was
den Roman trotz seines für gewisse Menschen sicherlich schwer verdaulichen Inhalts zur kurzweiligen Lektüre macht, ist seine Gliederung
in kleine Häppchen: kurze Kapitel sind jeweils einer Figur und deren
Perspektive zugeordnet. Die Montage
dieser zwei, drei Seiten langen Abschnitte, die den Leser zwingt, unregelmäßig
alternierend die Welt aus verschiedenen Augen zu sehen und zu erleben, sorgt für Abwechslung und eine hohe Erzähldichte. Das Verfahren hat Tradition, berühmte Vorbilder sind Stadtromane
wie Manhattan Transfer von John Dos
Passos (1925) über das New York der Depression, Mrs Dalloway (1925) von Virgina Woolf über eine Handvoll Figuren in
London oder Tauben im Gras von Wolfgang
Koeppen (1951) über das zerbombte München an einem einzigen Februartag sowie Sansibar oder der letzte Grund von
Alfred Andersch (1957).
Quellenangaben:
Berg,
Sibylle: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot. Reclam
Taschenbuch Nr. 21577. Stuttgart 2008.
Erstausgabe
1997
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