Wenn sogar das Böse langweilig ist, wird’s schwierig
enn Donatien Alphonse Francois de Sade nicht bereits seit
knapp 200 Jahren tot wäre (er starb 1814), er hätte sich womöglich neue
gruselige Methoden ausgedacht, um die Veröffentlichung dieses Films zu
vereiteln, dessen Gegenstand die letzten Monate seines Leben darstellen. Was
für ein toller Stoff! Was für eine tolle Besetzung: Geoffrey Rush, Joaquin
Phoenix, Michael Caine und Kate Winslet! Aber! Was für papierne Charaktere! Und
was für ein träges und klischiertes Drehbuch! Und welche pseudodialektische Kindergartenmoral:
Ach, das Böse ist ja gar menschlich. Und ach, das Gute ist ja tief in seinem
Inneren viel böser als das Böse, aber es versteckt sich hinter dem tugendhaften
Schein wie Nachbars Susi hinter dem Bäumchen und kann nicht dazu stehen.
Maskerade! Skandal! Alle mal herhören! ›What else is new?‹ sagt der Amerikaner bei solchen Gelegenheiten
und gähnt. Und: ›What’s the story?‹ Zur Story komme ich gleich, doch das beste zuerst. Und
zuerst kommt Kate.
Kate Winslet ist einfach immer wieder großartig. Ich kann
ihr stundenlang zusehen, sie macht aus fast jeder Rolle eine interessante Figur.
An manche Filme erinnere ich mich vor allem wegen ihrem Spiel, z.B. Little Children (2006), Revolutionary Road (2008) oder Eternal sunshine of the spotless mind
(2004). Aber bereits in Kenneth Brannaghs Hamlet
(1996) überzeugt ihre Ophelia, und vor ein paar Monaten spielte sie eine leicht
überforderte (!) Jodie Foster in Polanskis Carnage
(2011) glatt an die Wand. So auch in diesem Film: die besten Szenen in Quills gehören ihr, und zwar mit Abstand.
Und nein, nicht einfach, weil sie schön ist. Aber ja, sicher, sicher, schön ist
sie auch.
Winslet spielt die junge Wäscherin Madeleine, die um 1812 in
Charenton arbeitet, einem Pariser Asyl für Nervenkranke, das auch den Marquis
de Sade beherbergt. Der sitzt wie eine Spinne im Netz in seinem üppig
ausgestatteten Zimmer, zwar eingesperrt, aber mit der Freiheit zu schreiben,
was das Zeug hält. Seine skandalösen pornographischen Texte würden noch heute mit
Sicherheit mehr Schlagzeilen machen (und verdienen) als die handzahme
Sadomaso-Softporno-Trilogie Shades of
Grey der Engländerin E.L. James, deren vor kurzem erschienener erster Teil derzeit
sämtliche Kultur- und andere Seiten zum Schäumen bringt. (Die ZEIT spottet über
den Megabestseller, der alle verkaufszahlen von Harry Potter etc. in den
Schatten stellt: »die neue Anti-Blümchensex-Bibel mit der rosa Orchideenblüte
auf dem Cover«.
Wie aber bekommt der mit einem Publikationsverbot belegte Namensgeber
des Sadismus die beschrieben Seiten nach draußen, außerhalb der Mauern der Nervenheilanstalt? Genau, es ist die Waschfrau,
die ach so reine, aber extrem neugierige Madeleine. Die fühlt sich auf
sonderbare Weise von ihm angezogen, vor allem von seinen obszönen Texten – und
seiner Hingabe an die Kunst des Schreibens: mit welcher Leidenschaft de Sade
für jedes Opfer bereit ist, um zu Federn (e. quills), Tinte und Papier zu
kommen. Notfalls schreibt er mit Rotwein auf Laken, mit Blut auf seine Kleider,
oder gar… aber lassen wird das. Für ihn gilt: Leben ist Schreiben. Und da er auch
will, dass seine Schriften gelesen werden: Publish
or perish. Er versinnbildlicht auf diese Weise wie kein anderer – und das
klingt jetzt wirklich etwas kitschig – die Erotik des Schreibens.
Das gefällt der ansonsten so schlichten wie züchtigen Madeleine, die seine Texte nicht nur in die Welt schmuggelt, sondern sie auch den Mitarbeitinnen und Mitarbeitern vorliest, auch ihrer blinden Mutter – auf deren ausdrücklichen Wunsch. Die Figur ist wirklich spannend, weil sie viel offen lässt, man sieht Winslets feinen Spiel zu, wie sie nicht lassen kann von dem verbotenen Zeugs, den Büchern, wie sie ihr etwas ersetzen, das sie nicht ausleben kann, vielleicht auch gar nicht will. Aber dennoch hilft sie dem Marquis wiederholt. Und damit ist der Film meines Erachtens sehr nahe am Phänomen de Sade (und seinen Epigonen): seine radikale Literatur verkörpert eine Ventilfunktion, sie bewirkt bei den Leserinnen und Lesern eine kathartische Befreiung vom Triebstau, der ihnen die konventionelle Moral und ein willkürliches Reinheitsgebot auferlegt hat – heute kann man das so generell nicht mehr behaupten, aber passé ist das Thema nicht, siehe besagter Pseudoskandal um Shades of Grey.
Das gefällt der ansonsten so schlichten wie züchtigen Madeleine, die seine Texte nicht nur in die Welt schmuggelt, sondern sie auch den Mitarbeitinnen und Mitarbeitern vorliest, auch ihrer blinden Mutter – auf deren ausdrücklichen Wunsch. Die Figur ist wirklich spannend, weil sie viel offen lässt, man sieht Winslets feinen Spiel zu, wie sie nicht lassen kann von dem verbotenen Zeugs, den Büchern, wie sie ihr etwas ersetzen, das sie nicht ausleben kann, vielleicht auch gar nicht will. Aber dennoch hilft sie dem Marquis wiederholt. Und damit ist der Film meines Erachtens sehr nahe am Phänomen de Sade (und seinen Epigonen): seine radikale Literatur verkörpert eine Ventilfunktion, sie bewirkt bei den Leserinnen und Lesern eine kathartische Befreiung vom Triebstau, der ihnen die konventionelle Moral und ein willkürliches Reinheitsgebot auferlegt hat – heute kann man das so generell nicht mehr behaupten, aber passé ist das Thema nicht, siehe besagter Pseudoskandal um Shades of Grey.
Im Zentrum von Quills
steht zunächst der barock und lebensstrotzend tobende und besagte Freiheitlichkeit
herausgrölende und spielende de Sade, eindrücklich, aber für meinen Geschmack
zuweilen etwas plakativ gespielt von Geoffrey Rush (der Rhetoriklehrer aus The King’s Speech).
In seinem Schatten entspinnt sich ganz nebenbei eine kleine stille unausgelebte Liebesgeschichte zwischen Madeleine und dem jungen Pastor Abbé du Coulmier (Joaquin Phoenix), der mitbekommt, dass Madeleine mit berühmten Inhaftierten einen Handel treibt.
In seinem Schatten entspinnt sich ganz nebenbei eine kleine stille unausgelebte Liebesgeschichte zwischen Madeleine und dem jungen Pastor Abbé du Coulmier (Joaquin Phoenix), der mitbekommt, dass Madeleine mit berühmten Inhaftierten einen Handel treibt.
Das geht eine ganze Weile gut und die Pariser auf den Straßen reißen sich im Film um sein neuestes Werk Justine, das den Weg aus der Anstalt gefunden hat (das de Sade allerdings im richtigen Leben bereits 1796, also gut 15 Jahre früher schrieb). Aber dann kommt – leider – der von Michael Caine gespielte Doktor Royer-Collard in den Film und übernimmt die Zügel in dem Heim und die Roille des guten bösen Gegenspielers. Es ist sein erklärtes Ziel, dem Unhold das Handwerk zu legen. Womit der Spannungsbogen gelegt ist, denn der junge Abbé hatte seine Madeleine gewähren lassen.
Aus irgendwelchen Gründen sieht das Drehbuch vor – oder ließ
sich Caine dazu hinreißen – , seine Figur des Dr. Royer-Collard zu einem
Abziehbild vom autoritären Despoten zu machen, der zu allem Unfug hinzu auch
noch eine ihm bereits versprochene, aber wohl minderjährige Waise des nahen Klosters zur Frau nimmt, die den ältlichen und selbstgefälligen Griesgram
freilich alles andere als sexy findet. Ja, so sind sie, die Tugendwächter, außen
hui, innen pfui. Und man sieht es bereits kommen, dass der vermeintliche
gestrenge Tugendbold des Nachts gar lüsterne Absichten verfolgt und sich
gewaltsam nimmt, was die junge Gattin nicht freiwillig gibt. Immerhin kann man
Caines Figur an dieser Stelle so richtig schön verachten. Aber: hier macht es
sich das Drehbuch einfach zu leicht, da hat ja Pirates of the Carribean (jedenfalls die Teile 1-3) noch
differenziertere Charaktere vorzuweisen, und das will etwas heißen. Caines
Darbietung ist irgendwo zwischen bösem Großinquisitor, strenger Ordensschwester
und trotzigem Patriarchen anzusiedeln. Ihm fehlt die Komplexität, er ist zu
berechenbar, scheint einfach nur dazu da, uns mit den anderen Figuren das
Fürchten zu lehren. So entwickelt sich der Film in der Hauptsache zu einem
Duell zwischen dem Dokrot und dem Philosophen – mit ungleichen Spießen und klar
verteilten Sympathien: Hier der doktrinäre Sadist und Vertreter der
herrschenden verlogenen Moral, dort der exaltierte Philosoph und laszive Prediger
der moralischen Befreiung und des narrenfreien Atheismus. Wobei sich das
schwarzweiße Spiel von Caine wie ein Virus ausbreitet, zumindest infiziert er
damit Geoffrey Rush, dessen Marquis immer mehr zu einem
Hannibal-Lecter-Verschnitt mit Hallodri-Einlagen mutiert. Das ist weder dramatisch noch spannend,
eher ärgerlich – und langweilig.
Man ahnt das böse Ende genauso wie man voraussieht, dass der
scheinheilige Großinquisitor auch nicht ganz zufrieden enden wird: die arme junge
Verheiratete liest ohne sein Wissen im Ehebett de Sades Justine (das ist noch ganz nett inszeniert) und nimmt dann bald mit
einem knusprigen jungen Angestellten ihres Herrn Gatten Reißaus. Wir lernen: Es
gibt noch eine Gerechtigkeit. Und: Nieder mit den bösen und mächtigen Zauberern
dieser Welt.
Schade um einen wirklich schönen Stoff. Ich bin nicht unglücklich, Quills gesehen zu haben, auch wenn er mich über weite Strecken nicht überzeugen konnte. Der Film stand schon
lange auf meiner Liste, nun bringe ich ihn mit der fast erwarteten Enttäuschung
zu meiner DVD-Tankstelle zurück – und nehme mir vor, mal ältere und neuere
Fassungen anzusehen, die sich mit dem Thema de Sade abgeben. Es muss ja nicht
gerade Pasolinis Die hundertzwanzig Tage
von Sodom (1975) sein. Aber das Thema, für das er und seine düsteren Bücher
stehen, bleibt aktuell.
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