Mittwoch, 25. Juli 2012

Prozac Nation (USA, 2001)



Regie: Erik Skjoldbjærg

Trailer

Jung, hübsch, erfolgreich und depressiv

Eine labile, talentierte junge Publizistikstudentin, die von einer Depression gebremst wird, die sie zuvor auf Biegen und Brechen von sich fernzuhalten versuchte. Eine Mutter, die verzweifelt alles daran setzt, dass die Tochter den Erfolg im Leben hat, der ihr selbst versagt blieb. Ein abwesender Vater, der, wenn er doch mal auftaucht, nur von sich redet. Überforderte Freunde, die irgendwann aufgeben, weil, ja weil Depressionen kein Schnupfen sind, bei dem ein paar gereichte Taschentücher genügen, um den Himmel wieder blau zu machen. Dieses stille kleine Coming-of-Age-Drama aus den »United States of Depression« (Filmzitat) wirkt nach und ist trotz seines zu abrupten Endes sehenswert.


Kinder zerbrechen nicht selten daran, dass sie von den Eltern zum glücklichen Leben verurteilt und damit überfordert werden. Man verdonnert sie dazu, den Stolz der Familie zu verkörpern, damit die Erzeuger ihre innere und äußere Fotowand mit dem eingerahmten glücklichen Dasein der nachwachsenden Generation und Frucht der eigenen Entbehrungen dekorieren können. ›Puh! Ich hab’s zwar nicht geschafft, aber immerhin habe ich dieses großartige Kind in die Welt gesetzt, habe es gefüttert und gefördert‹ – ›und das ganz alleine‹, könnte die alleinerziehende Mutter hier anfügen – trotz einer nichtfunktionierenden Ehe und einem Vater, der sich aus dem Staub gemacht hat und sich weigert, die Alimente zu bezahlen.



Prozac Nation lebt in erster Linie von dem differenzierten, uneitlen Spiel seiner beiden Hauptdarstellerinnen Christina Ricci und Jessica Lange. Die junge Ricci überrascht immer wieder mit ihrer Reife in frühen Filmen, sie vermag einer Figur Nuancen und Tiefe zu verleihen und verlegt sich nicht auf Posen aus der Schublade des ›Method Acting‹, die zuweilen dem Eigenlob dienen: ›seht mal, ich kann so überzeugend die Verrückte spielen, die ausrastet‹; ›ist das nicht toll, wie schön ich weinen kann‹; ›Achtung, jetzt kommt der grandiose Augenaufschlag einer Depressiven‹. Ricci findet interessantere, subtilere Ausdrucksformen: Sie starrt manchmal einfach nur in eine Richtung oder schweigt ein Loch in sich, damit erzählt sie mehr als mit vermeintlich großen Gesten.



Jessica Lange spielt die undankbare Rolle der hysterischen Mutter erwartungsgemäß souverän; sie hält die Schwebe zwischen Vernunft und Besitzanspruch, agiert vom ersten Moment an am Rande des Nervenzusammenbruchs, und das Gute ist: sie bleibt dabei und erspart uns damit eine schleichende Entwicklung zum dämonischen Muttertier, wie es zuletzt in Black Swan zu sehen war. Barbara Hershey spielte das dort zwar eindrücklich, aber gemessen am richtigen Leben ist es over the top, analog zu Natalie Portmans intensiver Version des mutterfliehenden Kükens. Stark, aber irgendwie gewollt und too much. Genau darin liegt für mich eine weitere Stärke von Prozac Nation: Das Drehbuch zeigt Mut zur Pattsituation, zur Stagnation, zu den leiseren Tönen.



Dazu ein kleiner Exkurs: Gerade amerikanische Dramen (aber nicht nur die) beginnen ja gerne mit dieser ewigen glückdurchtränkten Atmosphäre wie aus der Margarine-Werbung, wo man die ersten paar Fimminuten dabei zusehen darf, wie sich im goldigen Licht der Morgensonne ein erfülltes Familienleben selbst inszeniert und sich ein weiterer großartiger Tag für sämtliche Mitglieder anbahnt: ›Guten Morgen Schatz, danke für das Frühstücksei. Na, Sohnemann, heute ist doch dein großer Tag?‹ etc. etc. Das ist zum einen deshalb ermüdend, weil solche Szenen komplett aus der Welt gefallen sind: Keine Familie nirgendwo funktioniert so, und falls doch, dann haben ihre Mitglieder zu viele schlechte Filme gesehen und machen sich selbst zu Statisten in einem fremden Leben – oder sie leben in LA, wo alleine die Nähe zu Hollywood einen dazu verpflichtet, solchen verqueren Wunschvorstellungen zu entsprechen.
Zum andern ist es das billigste aller dramaturgischen Mittel, ein blinkender Pfeil, der uns sagt, seht her, ist das nicht herrlich, so eine glückliche Familie, wollen wir das nicht alle? Nein, wollen wir nicht. Und vor allem wissen wir genau: Diese Plastikidylle ist eh schon history, gleich wird etwas ganz Schlimmes passieren. Aber so was von. Wenn nicht bald eine Klimakatstrophe ausbricht oder böse Aliens angreifen, stellt sich wahrscheinlich heraus, dass der Vater ein ehemaliger CIA-Agent ist und man ihn zurück in den Dienst gegen böse Islamisten beordert oder die 13-jährige Tochter entführt wird. In interessanteren Filmen ernährt der Vater heimlich eine zweite Familie oder die 13-jährige Tochter geht auf den Strich.



Anders in Procac Nation: Bereits in der ersten Szene ahnt man das unerfüllte Mutterdasein dieser Frau und kann feststellen, wie sehr die Tochter davon bereits gezeichnet ist, womöglich für ihr ganzes Leben. Zwar wird auch hier Theater gespielt: Die Mutter fantasiert begeistert vom zukünftigen Leben der Tochter in Harvard und plant die Einrichtung ihres Studentenzimmers; die Tochter lächelt dazu gütig. Doch der falsche Schein entlarvt sich selbst. Etwas später muss sogar der schon ziemlich tattrigen Großmutter und dem ohnmächtig schweigenden Großvater noch ein billiges Familientheater vorgespielt werden, dass sich alles zum besten entwickle – was für jeden ersichtlich nicht der Fall ist.



Mit dem Mut zur Beschreibung einer beinahe stagnierenden Situation hebt sich der Film wohltuend von anderen, herkömmlicheren Coming-of-Age-Dramen ab, er ist um Längen ernsthafter und engagierter, die Figuren und Beziehungen wirken authentischer. Eigentlich erzählt er etwas, was wir alle immer wieder erfahren:  Vieles ändert sich in unser aller Leben nicht, oder nicht zwingend, manches bleibt sich – kleine Schritte ausgenommen, gleich, egal was passiert.





Und was passiert in dem Film? Eigentlich nichts Spektakuläres. Die talentierte Schreiberin Elisabeth feiert in Harvard frühe Erfolge, sie darf sogar etwas für das Rolling Stone schreiben. Sie findet eine beste Freundin (Ruby) und hat schon bald den ersten Sex, bald darauf einen festen Freund (Rafe). Damit ist die Messlatte gelegt und sie müste jetzt einfach funktionieren. Wenn es so leicht wäre. Sie beginnt mit Alkohol und Ecstasy zu experimentieren und gibt die wilde Partynudel, hat sich immer weniger unter Kontrolle und beginnt sich bei allen unmöglich zu machen. Allmählich kann sie ihre Überforderung mit dem selbstauferlegten Erfolgsdruck nicht mehr verdrängen, was sich außer in Versagensängsten und Selbstmitleid zunehmend in heftigen Wutausbrüchen gegenüber denjenigen Menschen äußert, die sie eigentlich liebt und die sie lieben, allen voran ihrer Freundin Ruby und ihrem Freund Rafe.



Sie empfindet sich als Zumutung – und sie ist es auch. Ihre nachträglichen Entschuldigungen können die Verletzungen nicht mehr wettmachen, die sie den Mitmenschen zufügt, sie isoliert sich zusehends. Die Psychotherapie bei Dr. Sterling – zurückhaltend, aber eindrücklich gespielt von Anne Heche –, zu der die Freunde sie drängen, nimmt auch erst nach einer ganzen Weile eine positive Richtung. Zunächst wehrt sich Elisabeth dagegen, Einblick in ihr Innerstes zu nehmen, eine durchaus verständliche Furcht. Nur schon die Sehnsucht nach dem abwesenden Vater macht ihr zu schaffen, ganz zu schweigen von der Verantwortung, für ihre Mutter die Hauptrolle in deren Wunschdrehbuch zu spielen. Nach einem desaströsen Fehlentscheid mit Folgen, einem Klimax im Drehbuch, ist sie ganz auf sich gestellt.



Bis hierhin ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Elisabeth Wurtzel aus dem Jahre 1994 wirklich gelungen und man sieht Ricci wirklich gespannt dabei zu, wie ein leben aus den Fugen gerät.
Dann geht alles viel zu schnell und unter Zuhilfenahme eines Voice-Overs. Wirklich schade. Hier wurde wohl Geld gespart. Oder die Drehbuchvorlage getreu umgesetzt, was die Sache nicht besser macht. Dennoch verpasst man etwas, wenn man den Film deshalb meidet. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen