Regie: Christian Schwochow
die Wahrhaftigkeitsbühne
Sie schläft ein. Auf der Bühne. Ausgerechnet als der Herr
Regisseur aus dem richtigen Theaterleben zusieht. Er sucht an der
Schauspielschule nach einer guten Besetzung für seine neue Produktion. Und
Fine? Fine schläft ein. Wenn alle um sie herum hypern wie am ersten Schultag.
Mit ihrem mausspitzen Gesicht, den traurigen Augen, der verschämten
Körpersprache schläft sie ein. Auch ohne irgendetwas zu spielen, sieht sie
bereits wie eine Verstoßene aus, aber kann man das Talent nennen?
Wider Erwarten darf sie dennoch mitmachen, noch dazu in der
Hauptrolle der Camille (gemeint ist wohl Camille Claudel). Sie kann ihr Glück kaum fassen. Doch irgendetwas stimmt
hier nicht. Das muss ein Irrtum sein.
Der Film deckt vier Monate ab, vom Casting bis zur Premiere,
eine klassische Dramaturgie also, die sich schon in vielen sehenswerten
Geschichten von fragilen Künstlerinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs bewährt
hat. Einige sehenswerte Beispiele sind Opening Night mit Gloria Swanson (John Cassavetes, USA 1977), Being Julia mit Annette Bening (István Szabó, GB 2004), Vier Minuten mit Hannah Herzsprung (Chris Kraus, D 2006), Black Swan mit Natalie Portman (Darran Aronofsky, USA 2010). Mit dem letztgenannten
hat Die Unsichtbare noch mehr
gemeinsam: das ambivalente Verhältnis zur alleinerziehenden Mutter, die emotionale
Abhängigkeit von einem abgebrühten Regisseur, der ihre sexuelle Unerfahrenheit wittert
und moniert, überhaupt ihr kokonhaftes Dasein. Zu viel unausgelebtes Leben
mindert die Bühnenwirksamkeit – dieses Credo teilen sich die männlichen
Bühnenzampanos der beiden Filme, die abgesehen davon ganz unterschiedlich funktionieren.
Fine starrt mal wieder ins Leere. In ihr schlummert ein
Konflikt, der will raus, aber sie will nicht. Er macht ihre Erscheinung
interessant, zunächst äußert er sich erstmal als lähmende Leere. Gänzlich
kraftlos wirkt sie zuweilen. Rasch wird klar: wenn sie nicht bald aus dem Ei
schlüpft, wird das nix mit der Hauptrolle. Will sie als Camille bestehen, muss
sie sich erstmal mit sich selbst bekanntmachen und wenigstens einen Blick in
ihre inneren Abgründe werfen. Ja, das mag abgedroschen klingen, ist es aber in
diesem Fall nicht. Dazu ist nur schon Fines Ausdruck zu unkonventionell, um
nicht neugierig zu machen. Stine Fischer Christensens Gesicht – ein Blatt Papier mit einem Haufen Fragezeichen.
Dass man es immer wieder sieht und allmählich kennenlernt, in allen möglichen
Nuancen, ist für mich eine der Stärken des Films.
Hinzu kommt ihre Verstocktheit. So will sie sich partout
nicht mit einer der Grundregeln des deutschen Theaters anfreunden – da zieht
man sich schon mal aus. Nicht mit ihr. »Dann müssen alle mal rausgehen«,
fordert sie allen Ernstes. Der Film entbehrt nicht komischer Momente, die
unaufdringlich inszeniert sind. Der Weg aus
dem Schneckenloch führt über das Kostüm und den Text der Rolle. Doch selbst mit
der platinblonden Perücke und dem dunkelblauen Schnürmantel wirken Sätze wie »Sex ist wie Kuchenessen: ich esse und esse und kann nicht mehr genug davon bekommen« aus Fines Mund so auswendig gelernt wie sie sind. Glaubwürdig ist anders.
Alles andere als abgedroschen ist auch die private
Situation. In Black Swan wurde noch
eine dämonische Züge annehmende Tiger Mom
bemüht, die fürchtet, ihr rosa Spielzeugkind an die böse Außenwelt zu verlieren
– zudem neidet sie ihr ihre Jugend und die mögliche Karriere. In Die Unsichtbare ist es der kräftezehrende
Alltag mit der geistig und körperlich behinderten Schwester Jule und einer
überforderten Mutter, die Fines Ausbildung gar nicht zur Kenntnis nimmt. Die
spastisch um sich schlagende Jule fordert beiden Frauen alles ab, ist sie erst
mal ins Bett gebracht, bleiben kaum noch Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit übrig.
Der Film ist zu intelligent, um diese schwierige Situation für irgendwelchen
falschen Alltagsheroismus auszubeuten, er weist durch das Mittel der
Wiederholung nur darauf hin, wo Fines Unsichtbarkeit herrühren mag. Sie hat aus
der Not eine Tugend gemacht. Entsprechend muss sie dem ersten Mann, der ihr
gefällt, ein Baum von Mann und Tunnelbauer, wortwörtlich nachlaufen und sich
ihm gegenübersetzen, um wahrgenommen zu werden. Über sich reden mag sie
allerdings nicht und das birgt bereits wieder jede Menge Potenzial für
Missverständnisse.
Die Beziehung zum Regisseur ist sowieso spannungsgeladen,
sie kommt im Drehbuch aber auch etwas zu kurz. »Warum hast Du mich für die
Rolle ausgewählt?« – »Weil Du einen Schaden hast – warum sonst?« Er bringt sie fahrlässiger Weise dazu, sich an ihre Traumata zu erinnern, um sie für die Bühne interessanter zu machen. Wenn ich dem
Film einen Vorwurf machen wollte, dann das absehbar eindimensionale und
klischierte Bild von der Theaterwelt, das er entwirft: ein Haufen verrückter
Spieler und Mitarbeiter, die alles mit sich machen lassen, um dabei zu sein,
wenn der monarchisch agierende Regisseurkönig über sie bestimmt,
charismatisch (Ulrich Noethen gibt sich redlich Mühe), schlechtgelaunt und
cholerisch, das Rotweinglas stets zur Hand, die Zigarette sowieso. Aber ja, es mag auch Realsatire sein, immerhin dient Castorfs Berliner Volksbühne dem Film als Kulisse, und das will was heißen, da ist die Skala, was Verrücktheiten und Opferbereitschaft betrifft, nach oben hin offen wie sonst nirgends.
Der Werdegang der jungen Frau aber ist eindrücklich in Szene
gesetzt, trotz der klassischen Dramaturgie hat er Überraschendes zu bieten und
will auch nicht alles zu Ende erzählen. In einer Nebenrolle spielt Anna-Maria
Mühe angenehm zurückhaltend.
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