Donnerstag, 9. August 2012

Edmond (USA 2005)


Regie: Stuart Gordon
Mit William H. Macy, Julia Stiles, Joe Mantegna

☞ Trailer

Die Abgründe einer überforderten weißen Mittelklasse

Was für ein Antiheld. Nein, was für ein Loser. Nein, schlimmer: was für ein Unglück von Mann. William H. Macy in der Rolle der Hauptfigur Edmond musste alle Barrieren der Eitelkeit fallen lassen, um diese Rolle zu spielen, das alleine ist schon bemerkenswert an diesem düsteren Film über das trostlose Scheitern einer Selbstbehauptung. 
Wie? Das klingt nicht nach einem Film, den man sehen will? Ja, kann schon sein. In guten Komödien mögen wir ja den Typ des Losers ertragen, weil er uns zum Lachen bringt und weil es kaum richtig existenziell wird. Sei es Charlie Chaplin in Modern Times (1936), Woody Allen in Play It Again, Sam (1971) oder Ben Stiller in Little Fockers (2010). In ernsten Filmen aber kann es zuweilen unerträglich sein, einem dabei zuzusehen, wie er in einem fort scheitert und sich lächerlich macht, zumal ganz ohne comic relief, also der Erlaubnis, dem Drama durch Lachen die Spitze zu brechen. Das ist eine so banale wie entlarvende Feststellung. Wir halten es nur schlecht aus aus, wenn wir in Filmen dem Scheitern ausgesetzt sind, vielleicht – ja warum bloß? –, vielleicht weil wir uns gerne zwei Stunden Pause vom eigenen Scheitern nehmen. Oder der bloßen Angst davor.

Edmond möchte sich selbst seine Würde zurückgeben. Eine Wahrsagerin – wer zu einer Wahrsagerin geht, ist bereits auf dem halben Weg dazu, zu verzweifeln – legt ihm die Karten und sagt: »You are not where you belong«. Edmond sieht darin ein Urteil über das große Ganze seines Lebens. Gleich als Erstes macht er mit seiner Frau Schluss, und zwar ohne viel Federlesens, während sie sich gerade umzieht, trotzig wie ein kleiner Junge, gleichzeitig teilnahmslos, dass es wehtut. Ihre zunehmende Fassungslosigkeit ist ein intensives Stück Kammerspiel. Und Edmond merkt man an, wie fremd ihm die Rolle in seinem eigenen Leben geworden sein muss.
Dann zieht er, wohl auf der Suche nach dem Gefühl von Befreiung, durch das New Yorker Nachtleben und gerät von einem Desaster ins nächste. Bar jeder Souveränität, stolpert er – augenscheinlich das erste Mal – in eine vom Geld regierte Halbwelt der vermeintlich käuflichen Liebe, der Prostituierten, Zuhälter, Spieler und Gangster. Überall wähnt er sich übervorteilt, bezwungen und vorgeführt. Die Art und Weise, wie er mit den Freudenmädchen um jeden Zehner feilsch, entlarvt den Spießer in ihm, der nun endlich das möchte, was ihm zusteht. Statt sich seiner naiven Gutgläubigkeit bewusst zu werden und sich diesem kriegsähnlichen Treiben zu entziehen, entwickelt er einen gefährlichen Trotz und wählt, nervlich bereits sichtlich angeschlagen, die Flucht nach vorne. Wo Krieg ist, sind Waffen überlebensnotwendig.
Wir werden Zeuge eines kaschierten Nervenzusammenbruchs in Raten. Edmond deklariert lauthals seine Wiedergeburt. Der homophobe Rassist in ihm kommt zum Vorschein. Die weiße Zivilisation muss sich aus der selbstauferlegten Zurückhaltung und Verantwortung befreien, weil sie sich damit selbst überfordert. Political Correctness war gestern. Das Imperium schlägt zurück. Nun wird er es allen zeigen. In einem peinlich anzusehenden Anfall von Wahrhaftigkeitsfieber zieht er vor einer jungen Barangestellten eine traurige Prophetenshow ab, markiert den Mann von Welt, der glaubt, alles begriffen zu haben. Sie lässt sich auf ihn ein, man fragt sich warum, und erkennt zu spät, mit wem sie es zu tun hat. Innerhalb von wenigen Stunden ist aus dem kleinen Mann ein Unhold geworden, der uns das Fürchten lehrt.
Bevor er mehr Schaden anrichten kann – gerade wollte er an der Messe einer black community teilnehmen  (!) – , wird er gefasst, verurteilt und landet in einer Zweierzelle – ausgerechnet mit einem Schwarzen, der ihn zunächst sexuell demütigt, bevor sich daraus eine eheähnliche Zweckgesellschaft entwickelt. Edmond ist an seinem Bestimmungsort angekommen, wo er nichts mehr muss, weil er nichts mehr darf. Das Leben in Freiheit war ihm zu anstrengend, er war ihm nicht gewachsen. Der Film endet damit, dass die beiden über den Sinn des Lebens philosophieren und Arm in Arm einschlafen.
Edmond erzählt davon, wie einer in einer einzigen Nacht versucht, sich aus seinem Leben zu befreien, und dabei aus der Bahn fliegt. Dabei spielt Macys Mimik die Hauptrolle, an ihr lesen wir ab, wie verloren und innerlich leer dieser Mann tatsächlich ist. Auf jämmerliche Weise versucht er sich vor den Menschen, denen er begegnet, interessant zu machen, ringt um Verständnis, wo nur Fremdheit herrscht, als befände er sich an einer Stehparty unter Freunden, er grimassiert, tut sich selbst leid, reagiert unwirsch, wird verletzend, wo er sich verletzt wähnt. Die Hässlichkeit, die seine Figur zunehmend ausmacht, kehrt sich auf seltsame Weise nach außen, bis er zuletzt wie ein Gnom aussieht.

In Joel Schumachers Falling Down (USA 1993) spielte Michael Douglas schon einmal einen ähnlichen Durchschnittstypen mittleren Alters, der aus der Rolle fällt, durchdreht und zum Mörder wird. Im Stau von L.A. verliert der Mann mit dem Nummernschild DE-FENSE die Nerven und beginnt gegen alles und jeden auszuschlagen, die angestaute Wut des kleinen Mannes, der sich zu kurz gekommen wähnt, bricht sich Bahn. Falling Down ist massentauglicher, weil der Film – auch dank seiner Nebenhandlung – mehr Thriller als Psychodrama ist, aber vor allem weil die Figur von Douglas noch mehr Identifikationspotenzial bietet. Er verkörpert den Empörungsbürger, dem der Kragen platzt angesichts von Mißständen, die manch einer beklagen mag. So warnte der Film seinerzeit indirekt vor einer Politik des Wegschauens vor den sich auftuenden sozialen Gräben der multikulturellen Gesellschaft Südkaliforniens (es war die Zeit des Rodney-King-Falls) – und bekam wohl deshalb nur geteilten Zuspruch von der Kritik.
Stuart Gordons Film ist demgegenüber in erster Linie ein psychologisches Entfremdungsdrama, in dem political correctness eine Rolle spielt, und im Grunde auf bedrohlichere Weise. David Mamet, auf dessen Stück von 1982 der Film beruht und der auch das Drehbuch schrieb, setzte sich mehrfach mit diesem Thema auseinander, bekannt wurde besonders sein Stück Oleanna (1992, Verfilmung 1993). Edmond zeigt uns, was für Abgründe in den braven, angepassten guten Bürgern schlummern, zu welchen Monstern Unterdrückung und Verdrängung Vertreter der weißen Mittelklasse machen kann.
Darum: Traue niemandem. Watch your neighbor. *Wink*

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