Regie: Stuart Gordon
Mit William H. Macy, Julia Stiles, Joe Mantegna
as
für ein Antiheld. Nein, was für ein Loser. Nein, schlimmer: was für ein Unglück
von Mann. William H. Macy in der Rolle der Hauptfigur Edmond musste alle
Barrieren der Eitelkeit fallen lassen, um diese Rolle zu spielen, das alleine
ist schon bemerkenswert an diesem düsteren Film über das trostlose Scheitern
einer Selbstbehauptung.
Wie?
Das klingt nicht nach einem Film, den man sehen will? Ja, kann schon sein. In
guten Komödien mögen wir ja den Typ des Losers ertragen, weil er uns zum Lachen
bringt und weil es kaum richtig existenziell wird. Sei es Charlie Chaplin in Modern Times (1936), Woody Allen in Play It Again, Sam (1971) oder Ben
Stiller in Little Fockers (2010). In ernsten
Filmen aber kann es zuweilen unerträglich sein, einem dabei zuzusehen, wie er
in einem fort scheitert und sich lächerlich macht, zumal ganz ohne comic relief, also der Erlaubnis, dem
Drama durch Lachen die Spitze zu brechen. Das ist eine so banale wie
entlarvende Feststellung. Wir halten es nur schlecht aus aus, wenn wir in
Filmen dem Scheitern ausgesetzt sind, vielleicht – ja warum bloß? –, vielleicht
weil wir uns gerne zwei Stunden Pause vom eigenen Scheitern nehmen. Oder der
bloßen Angst davor.
Edmond
möchte sich selbst seine Würde zurückgeben. Eine Wahrsagerin – wer zu einer
Wahrsagerin geht, ist bereits auf dem halben Weg dazu, zu verzweifeln – legt
ihm die Karten und sagt: »You are not where you belong«. Edmond sieht darin ein
Urteil über das große Ganze seines Lebens. Gleich als Erstes macht er mit
seiner Frau Schluss, und zwar ohne viel Federlesens, während sie sich gerade
umzieht, trotzig wie ein kleiner Junge, gleichzeitig teilnahmslos, dass es
wehtut. Ihre zunehmende Fassungslosigkeit ist ein intensives Stück Kammerspiel.
Und Edmond merkt man an, wie fremd ihm die Rolle in seinem eigenen Leben
geworden sein muss.
Dann
zieht er, wohl auf der Suche nach dem Gefühl von Befreiung, durch das New Yorker
Nachtleben und gerät von einem Desaster ins nächste. Bar jeder Souveränität,
stolpert er – augenscheinlich das erste Mal – in eine vom Geld regierte
Halbwelt der vermeintlich käuflichen Liebe, der Prostituierten, Zuhälter,
Spieler und Gangster. Überall wähnt er sich übervorteilt, bezwungen und vorgeführt.
Die Art und Weise, wie er mit den Freudenmädchen um jeden Zehner feilsch,
entlarvt den Spießer in ihm, der nun endlich das möchte, was ihm zusteht. Statt
sich seiner naiven Gutgläubigkeit bewusst zu werden und sich diesem
kriegsähnlichen Treiben zu entziehen, entwickelt er einen gefährlichen Trotz
und wählt, nervlich bereits sichtlich angeschlagen, die Flucht nach vorne. Wo
Krieg ist, sind Waffen überlebensnotwendig.
Wir
werden Zeuge eines kaschierten Nervenzusammenbruchs in Raten. Edmond deklariert
lauthals seine Wiedergeburt. Der homophobe Rassist in ihm kommt zum Vorschein. Die
weiße Zivilisation muss sich aus der selbstauferlegten Zurückhaltung und Verantwortung
befreien, weil sie sich damit selbst überfordert. Political Correctness war gestern.
Das Imperium schlägt zurück. Nun wird er es allen zeigen. In einem peinlich anzusehenden
Anfall von Wahrhaftigkeitsfieber zieht er vor einer jungen Barangestellten eine
traurige Prophetenshow ab, markiert den Mann von Welt, der glaubt, alles
begriffen zu haben. Sie lässt sich auf ihn ein, man fragt sich warum, und
erkennt zu spät, mit wem sie es zu tun hat. Innerhalb von wenigen Stunden ist
aus dem kleinen Mann ein Unhold geworden, der uns das Fürchten lehrt.
Bevor
er mehr Schaden anrichten kann – gerade wollte er an der Messe einer black
community teilnehmen (!) – , wird er
gefasst, verurteilt und landet in einer Zweierzelle – ausgerechnet mit einem
Schwarzen, der ihn zunächst sexuell demütigt, bevor sich daraus eine
eheähnliche Zweckgesellschaft entwickelt. Edmond ist an seinem Bestimmungsort angekommen,
wo er nichts mehr muss, weil er nichts mehr darf. Das Leben in Freiheit war ihm
zu anstrengend, er war ihm nicht gewachsen. Der Film endet damit, dass die
beiden über den Sinn des Lebens philosophieren und Arm in Arm einschlafen.
Edmond erzählt davon, wie einer in einer
einzigen Nacht versucht, sich aus seinem Leben zu befreien, und dabei aus der
Bahn fliegt. Dabei spielt Macys Mimik die Hauptrolle, an ihr lesen wir ab, wie verloren
und innerlich leer dieser Mann tatsächlich ist. Auf jämmerliche Weise versucht
er sich vor den Menschen, denen er begegnet, interessant zu machen, ringt um
Verständnis, wo nur Fremdheit herrscht, als befände er sich an einer Stehparty
unter Freunden, er grimassiert, tut sich selbst leid, reagiert unwirsch, wird
verletzend, wo er sich verletzt wähnt. Die Hässlichkeit, die seine Figur
zunehmend ausmacht, kehrt sich auf seltsame Weise nach außen, bis er zuletzt
wie ein Gnom aussieht.
In
Joel Schumachers Falling Down (USA
1993) spielte Michael Douglas schon einmal einen ähnlichen Durchschnittstypen
mittleren Alters, der aus der Rolle fällt, durchdreht und zum Mörder wird. Im
Stau von L.A. verliert der Mann mit dem Nummernschild DE-FENSE die Nerven und
beginnt gegen alles und jeden auszuschlagen, die angestaute Wut des kleinen
Mannes, der sich zu kurz gekommen wähnt, bricht sich Bahn. Falling Down ist massentauglicher, weil der Film – auch dank seiner
Nebenhandlung – mehr Thriller als Psychodrama ist, aber vor allem weil die
Figur von Douglas noch mehr Identifikationspotenzial bietet. Er verkörpert den
Empörungsbürger, dem der Kragen platzt angesichts von Mißständen, die manch
einer beklagen mag. So warnte der Film seinerzeit indirekt vor einer Politik
des Wegschauens vor den sich auftuenden sozialen Gräben der multikulturellen
Gesellschaft Südkaliforniens (es war die Zeit des Rodney-King-Falls) – und
bekam wohl deshalb nur geteilten Zuspruch von der Kritik.
Stuart
Gordons Film ist demgegenüber in erster Linie ein psychologisches Entfremdungsdrama,
in dem political correctness eine Rolle spielt, und im Grunde auf bedrohlichere
Weise. David Mamet, auf dessen Stück von 1982 der Film beruht und der auch das
Drehbuch schrieb, setzte sich mehrfach mit diesem Thema auseinander, bekannt
wurde besonders sein Stück Oleanna (1992,
Verfilmung 1993). Edmond zeigt uns,
was für Abgründe in den braven, angepassten guten Bürgern schlummern, zu
welchen Monstern Unterdrückung und Verdrängung Vertreter der weißen
Mittelklasse machen kann.
Darum:
Traue niemandem. Watch your neighbor. *Wink*
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