Ein Vexierspiel zwischen Schein und Sein
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Zeh hat es mit den Dreiecksgeschichten. In ihrem Erstling Adler und Engel (2001) erzählt der Jurist Max von seiner Liebe zu
der verstorbenen Jessie, die ihrerseits einem schönen Perser namens Shersha
verfallen war. In Spieltrieb (2004)
laviert die düsterzynische Schülerin Ada zusehends zwischen dem impotenten Alev,
einem Altersgenossen und Seelenverwandten, und dem naiven verheirateten Lehrer
Smutek, der sich in eine Erpressung verwickeln lässt. In Schilf (2007) ist der Familienvater Sebastian eingeklemmt zwischen Maike,
seiner bodenständigen Frau, und seinem langjährigen Busenfreund Oskar, einem snobistischen
Quantenphysiker. In Corpus Delicti
(2009) findet die Dreiecksbeziehung auf ideologischer Ebene statt: Mia Holl muss
sich zwischen der regierungskritischen Position ihres verstorbenen Bruders
Moritz und dem Chefideologen Kramer entscheiden.
In Nullzeit (2012) ist es nun ein deutscher
Tauchlehrer, der sich auf eine Affäre mit seiner Kundin einlässt.
Der
Roman spielt von A bis Z auf einer Insel im Atlantik, Kanaren oder Azoren, und
ist vorwiegend aus der Perspektive von Sven Fiedler geschrieben. Er verließ
Deutschland nach seinem bestandenen Juraexamen fluchtartig, weil er es in dem
»Kriegsgebiet« nicht mehr aushielt. Kriegsgebiet?
»Ich
hatte Deutschland verlassen, weil ich das Leben in einem allumfassenden Netz
aus gegenseitigen Beurteilungen nicht länger ertrug. Urteilende und Beurteilte
befanden sich im permanenten Kriegszustand, und jeder füllte, je nach
Situation, die eine oder andere Rolle aus. Alle, was meine Kunden von zuhause
erzählten, waren Berichte von der Urteilsfront […]« (S. 35f.)
Ein
Zivilisationsflüchtling also, und ein ideologischer Epigone Rousseaus dazu. Statt
der deutschen Rechtspraxis hat er sich dem Meer verschrieben. Das Tosen der
Brandung nährt ihn, das Wasser ist sein Element und die Tauchgänge sind für ihn
Heimspiele. Dort kommen ihm schon mal absonderlich klingende Gedanken:
»Ich
wollte mich auf den Grund setzen, mir Kiemen wachsen lassen, um frei atmen zu
können. […] Die Barrakudas hätten bestimmt nichts dagegen gehabt, es gab Platz
genug für alle. […] Ich konnte hier heimisch werden. Schließlich wusste ich,
wie das Leben unter Wasser funktionierte.« (S. 229)
Ganz
abgeschieden lebt er allerdings nicht vom verdorbenen Menschengeschlecht. Zum
einen sind da die zumeist deutschen Kunden, die jeweils mit erwartungsfrohen Urlaubsgesichtern
ankommen, selig, ihrer bellizistischen Heimat entronnen zu sein, ferner einzwei
Freunde aus derselben Branche – und dann ist da noch Antje, seine Lebensgefährtin.
Sie ist zehn Jahre jünger als er und in ihn verliebt, seit sie denken kann. Umgekehrt
– nicht. Als er vierzehn Jahre vor Einsetzen der Romanhandlung seinen Abschied
aus Deutschland ankündigte, schloss sie sich ihm an (er hatte sie nicht
gefragt) und seither betreiben sie gemeinsam die Tauchschule, Antje am
Schreibtisch, Sven im Neoprenanzug. Man
hat allerdings rasch verstanden, dass ihre Beziehung eher geschwisterlicher
Natur ist. Keine Leidenschaft. Nirgends. Sven hat diese besondere, diese
gefräßige Form der Liebe noch nicht entdeckt, und sie wäre von ihm unentdeckt
geblieben, hätte sie sich ihm offenbart, und zwar in Form von Jola. Es knistert
bereits bei der ersten Begegnung und Berührung in der Begrüßungsszene am
Flughafen, die in wenigen Worten thematisch vieles vorwegnimmt und auf den
Punkt bringt:
»Dann
drückte ich die Frau. Sie war schmiegsam wie ein Stofftier. Für einen
Augenblick glaubte ich, sie würde zu Boden fallen, sobald ich sie losließe.«
(S. 9)
Verbotene
Früchte schmecken besonders süß. Und Kunden resp. Kundinnen sind für einen
Tauchlehrer verbotene Früchte, besonders wenn sie in Begleitung erscheinen. Das
ist schlecht für den Ruf und damit schlecht fürs Geschäft. Deshalb ist Sven von
Anfang an bemüht, sich die attraktive Jola vom Leibe zu halten. Jola heißt
eigentlich Jolante Auguste Sophie von der Pahlen, und der Name ist Programm.
Sie ist nicht aus irgendeiner Familie und sie ist keine beliebige Kundin,
sondern sie ist umgeben von einer Aura, die sagt: nimm mich wahr, sieh mich an.
Eine klassische Femme fatale, so klassisch, das es schon fast wieder kitschig
ist. Zuweilen hört sich der Erzähler Sven wie der Voice-Over von Orson Welles
in The Lady from Shanghai (1947) oder
einem der anderen zahllosen Beispiele des Film
Noir an, in denen der männliche Protagonist von seinem Schöpfer einer
geheimnisvollen Schönen ausgeliefert und ihren Spleens, ihren Launen und ihren Obsessionen
zum Fraß vorgeworfen wird.
»Jola
trug ein silbrigweißes Kleid, das, matt schillernd wie eine Flüssigkeit, auf
die kleineste Bewegung reagierte. Die dunklen Haare hatte sie geflochten und zu
einem Kranz um den Kopf gelegt. Sie war atemberaubend schön. Sie hatte dafür
gesorgt, dass wir eine Viertelstunde zu spät kamen. Auf der Gangway nahm sie
meinen Arm. An Bord verstummte das Gespräch. […]« (S. 194)
Seit
Jahren ein Star der TV-Soap namens Auf
und Ab, führt sie mit dem gut zehn Jahre älteren Schriftsteller Theo Hast
eine reichlich undurchsichtige bis krude Beziehung und erhofft sich, mit dem
zweiwöchigen Tauchkurs eine ideale Ausgangslage für ein Casting zu verschaffen
für einen Film über das Leben der Taucherin Lotte Hass (Jahrgang 1928). Sie plant den großen Karrieresprung
von der austauschbaren TV-Allerweltsware zum Großen Film.
Allerdings
gewinnt man aus Svens Perspektive bald den Eindruck, als wolle Jola den Urlaub
mindestens zu gleichen Teilen dazu benützen, sich von dem zur Gewalt neigenden
Theo zu trennen. Dabei scheint ihr der smarte und vertraglich gebundene und
irgendwie vollumfänglich für ihr Wohlergehen zuständige Tauchlehrer gelegen zu
kommen, jedenfalls wirft sie sich recht offensichtlich an Sven ran – und Theo
lässt sie gewähren, nicht ohne seinen Rivalen vor ihr zu warnen, den er bald
mal bloß noch »kleiner Scheißer« (S. 128) nennt.
Damit
ist die Exposition für ein Beziehungsdrama ausgelegt, inmitten der rauhen atlantischen
Atmosphäre. Im Zentrum steht Svens Überforderung und sein eroberungswilliger
Blick auf die begehrenswerte femme fatale,
seine Skrupel und die Nebenbuhlerschaft zu Theo. Ist Sven also Jolas Opfer? Na
ja, it takes two to tango, wie man so
sagt. Jedenfalls gerät er ganz schön in Teufels Küche, der Trieb will dem Kopf
nicht folgen. Er gerät in ein mehrfaches Dilemma, weniger wegen Antje, bald
auch nicht mehr wegen seines Rufs, sondern weil er Jola nicht durchschaut. Und
wir tun es auch nicht. Und das, obwohl wir auch ihre Perspektive kennenlernen. Die
Ich-Erzählung wird regelmäßig unterbrochen von kürzeren Auszügen aus Jolas
Tagebuch. Das Reizvolle daran ist, dass man schon relativ früh feststellt, dass
sie die Ereignisse in einem anderen Licht darstellt. Wer bewegt sich nun näher
an der Wahrheit? Und was führt Jola im Schild?
Der
krimiartig aufgebaute Plot ist recht konventionell erzählt und liest sich
gefällig, es werden Spannungsbögen geschaffen, die wenigen Figuren geben dem
Ganzen etwas Kammerspielartiges, die klaustrophobische Stimmung in den zahlreichen Unterwasserszenen bleibt nicht ohne Wirkung. Dennoch entwickelt die Geschichte keinen
rechten Zug, nimmt einen nicht so in Beschlag, wie ich es mir erhoffte, obwohl gut von der Autorin angelegt. Vielleicht liegt es daran, dass sich Juli Zeh sprachlich weiter zurückgenommen
hat, der Duktus ist zwar nach wie vor geistreich und inspiriert, aber sichtlich weniger bildergeladen und er lässt den für Zeh so typischen Humor vermissen, im Vergleich zu Schilf oder Corpus Delicti. Vielleicht
liegt es aber auch daran, dass man nicht so richtig Feuer fängt für den
Erzähler, ein Problem, dem man schon in Corpus
Delicti begegnete. Dreierkisten, gar eine ménage à trois, wie sie hier vorliegt, können zwar spannend sein, dafür gibt es genügend Beispiele, aber man muss sich für die Figuren interessieren, sie müssen einem nahe kommen. Das geschieht hier nicht: Nicht nur ist einem der unterkühlte Tauchlehrer suspekt,
zusätzlich ist die gesamte berichtartige Darstellung der Ereignisse durch den
Blick durch seine Brille distanziert und unterkühlt.
Die
letzten vierzig Seiten versöhnen einen, was die Spannung betrifft, mit den teilweise
etwas zähen vorangehenden zweihundert, in denen mit dem ›Auf und Ab‹ von Sein
und Schein gespielt wird, ein Vexierspiel, das im nachträglichen Blick zurück
an Reiz gewinnt. Jedenfalls ist man nach Beenden der Lektüre versucht, noch
einmal vorne zu beginnen und mit wachem Auge mindestens einzelne Passagen ein
zweites Mal – und aufmerksamer – zu lesen. Und da ist ja nicht wenig, auch wenn
der Roman nicht an Spieltrieb
herankommt, den in meinen Augen gelungensten Roman dieser interessanten Autorin.
Angaben:
Juli Zeh: Nullzeit. Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt a.M. 2012.
Angaben:
Juli Zeh: Nullzeit. Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt a.M. 2012.
Wirklich - Spieltrieb findest du den interessantesten Roman? (Habe den Rest nicht gelesen, weil ich Spoiler nicht mag…)
AntwortenLöschenBin da ganz anderer Meinung. (Mir gefällt das Bosnien-Buch am besten, »Die Stille ist ein Geräusch«, und dann Corpus Delicti und Schilf).
ja, ehrlich, ich fand Spieltrieb vor allem beim zweiten Mal lesen frech und gewagt. Die Figuren zwar gnadenlos überjkandidelt, aber das gehört zur Form. Die Stille ist ein Geräusch kenne ich noch gar nicht, das muss ich demnach mal lesen, wie?
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