Freitag, 14. September 2012

Kriegerin (D 2012)


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Regie: David Wnendt
mit Alina Levshin (Marisa), Jella Haase (Svenja), 
Sayed Ahmad Wasil Mrowat (Rasul), 
Gerdy Zint (Sandro), Lukas Steiener (Markus)



Unhold, Bösewicht, Gangster, Hooligan, Nazi. Viele Bezeichnungen für Menschen, von denen eine Bedrohung ausgeht, entbehren einer weiblichen Form. So weit, so wenig neu. Das Böse ist traditionell überwiegend männlichen Geschlechts, diese soziologische Realität spiegelt sich in der deutschen Sprache im Wortschatz und in der Grammatik, daran haben weder die biblische Eva noch die Hexen oder die sagenumwobenen SS-Frauen viel geändert. Auch beim Begriff ›Neonazi‹ werden die meisten automatisch an Männer denken, an Glatzköpfe, bleiche Tätowierte zwischen zwanzig und dreißig, an kräftige Schläger mit Bierflaschen in der Hand, die Gesichter verkniffen, dumpf, gewaltverzerrt. Doch wo Männer sind, sind die Frauen nicht weit.


Der 35-jährige David Wnendt stößt mit seinem Film insofern in eine Wahrnehmungslücke. Seine Kriegerin ist noch dazu eine attraktive junge Frau (sieht man von dem gewollt unästhetischen Haarschnitt ab). Marisa lebt mit ihrem Freund Sandro zusammen, sofern der nicht gerade im Gefängnis sitzt, und mit ihrer Mutter, in deren Lebensmittelladen sie arbeitet. Viel Geld wirft der nicht ab, aber es reicht irgendwie, die Verhältnisse sind bescheiden, kleinbürgerlich, man lebt in muffigen Behausungen ziemlich freudlos vor sich her, irgendwo in einem gesichtslosen kleinstädtischen Siedlungsgebiet im Osten. Vater ist keiner da, nur ein Großvater, den Marisa bewundert und liebt und regelmäßig im Pflegeheim besucht. In der ersten Sequenz sehen wir eine Rückblende, wo er die vielleicht 8jährige am Strand Sand schleppen lässt, es wirkt, als habe das Mädchen die Rolle des fehlenden männlichen Enkels auszufüllen, lang lebe die körperliche Ertüchtigung, Indianer kennen keinen Schmerz undsoweiter. Er nennt sie seine ›kleine Kriegerin‹. Im Hier-und-Jetzt wartet er einsam auf den Tod, seine Tochter hat schon lange jeden Kontakt mit ihm abgebrochen, sie kennt ihn von seiner gewalttätigen, brutalen Seite, von der sie Marisa erst nach seinem Tod erzählen wird. Die will das gar nicht hören, das Thema steht wie ein Klotz zwischen den beiden Frauen.


Marisa scheint das Erbe des Großvaters angenommen zu haben. Feindselig wie eine Kriegerin geht sie durch den trüben Alltag, geladen von einer latenten Aggressivität, in ihrer Freizeit hängt sie mit Sandros Kumpels am Strand ab, Bier trinkend, oder fährt durch die Gegend, Leute anmachen, bevorzugt solche, die fremd sind oder wirken. Marisas charismatisches Gesicht prägt sich einem ein, es wandelt sich, manchmal erscheint sie unvorteilhaft, hässlich vor lauter Hass, zumeist angespannt und gereizt, dann wieder ruhig und schön, wenn sie mal ganz bei sich ist. Oder wenn sie nachdenkt – und das geschieht, je länger der Film dauert, desto häufiger. Ursache ist die Bekanntschaft mit Rasul, einem Jungen aus Afghanistan aus dem Asylantenheim. Dass der sich einbildet, im Einkaufsmarkt von ihr bedient zu werden, kann sie kaum fassen. »So was bedien ich nicht!« zischt sie. Und befördert ihn und dessen älteren Bruder auf dem Moped bei Gelegenheit mit ihrem Auto von der Straße. Die beiden hatten es gewagt, sich am selben Strand aufzuhalten wie Marisa und die anderen, wurden verprügelt und verjagt und danach war der Außenspiegel an Marisas Auto abgefetzt worden. Da wird nicht mehr lange gezögert. Schließlich ist Krieg. Notfalls gegen alles, was nicht kuscht.

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Auch die schüchterne Svenja, ein Neuling in der Gruppe, starrt sie erstmal aus ihrem Blickfeld. »Schaff die hier weg!« blafft sie Svenjas Begleiter Markus an. Svenja ist auf der Suche nach einem Fixpunkt in ihrem Leben und die andere weibliche Hauptfigur des Films. Die Fünfzehnjährige hat sich in den zwanzigjährigen Markus verliebt und sucht einen Platz außerhalb der elterlichen Aufsicht, wo sie sich im Erwachsenwerden üben kann. Dass es sich bei Markus’ Freunden um Rechtsradikale handelt, scheint keiner Notwendigkeit zu entspringen, kommt aber ihren diffusen pubertären Trotzregungen gerade entgegen. Eigentlich sei sie nicht »politisch«, wie sie selbst einräumt. Jetzt winkt mit einem Mal der große Ausbruch. Eben noch musste sie dem gestrengen Vater das Zeugnis vorlegen und sich einer Atemkontrolle unterziehen – das Küken soll ja nicht zu rauchen beginnen –, dann befindet sie sich in einer Wohnung voller Glatzen. Sandros Entlassung aus dem Gefängnis wird gefeiert, am hellichten Tag wird geraucht, gesoffen, gelallt und geprügelt. Waffen aus den ach so guten alten Zeiten werden gehandelt, voller Ehrfurcht. Und man sieht sich einen nationalsozialistischen Propagandafilm an, in dem die Schächtung von Tieren als Beispiel für jüdische Grausamkeit angeprangert wird.
Es ist eine böse, eine intelligente Szene, sie offenbart eine unreflektierte Rohheit: Dieselben Leute, die jederzeit dazu bereit sind, jeden zu verunglimpfen und zu Brei zu schlagen, der in ihren Augen nichts in Deutschland zu suchen hat, steigern sich in eine gespielte Empörung und suhlen sich darin, wo es vermeintlich um die Rechte von Tieren, tatsächlich jedoch um rassistische Ideologie geht. Man möchte lachen, wenn es einen nicht so gruselte.
Gelacht wird jedoch kaum, das fällt auf, höchstens gegrölt. Alles ist todernst, man befindet sich im Krieg, man ist entschlossen, die Frage ist nur wozu und wer genau der Gegner ist. Diese Ziellosigkeit wird auch am Beispiel Sandros vorgeführt, eine Art Leitwolf der Gang, der zu Beginn verhaftet wird und während der filmischen Handlung eine Weile im Gefängnis sitzt. Von dort aus telefoniert er einmal mit Marisa. Alles müsse anders werden, man werde aufs Land ziehen. Das bleiben Phrasen, denn als er zurückkommt, ändert sich gar nichts, wie auch, die Gegenwart scheint zwar nur ein Übergangsstadium,  in dem sich keiner so recht wohlfühlen mag, doch es fehlt die Zukunft. Also weiter so. Und die Liebe? Es herrscht bestenfalls freundschaftliche Ruppigkeit. Selbst untereinander haben die Protagonisten sich fast jede Nettigkeit und Zärtlichkeit abgewöhnt, der Sex zwischen Marisa und Sandro hat etwas von einem Gewaltakt und ersetzt das Gespräch – man kann das Beziehung nennen, was sich zwischen den beiden abspielt, aber das hätte etwas Euphemistisches. Kaum hat sich zwischen ihnen eine Distanz entwickelt, wird Sandro gleich rabiat. »Wieso erwiderst du meine Liebe nicht?« brüllt er unbeholfen pathetisch. Wer nicht spurt, fängt eine, und sei es die Frau, um deren Liebe man eigentlich bettelt. Immer feste druff. 



Sprachlosigkeit und Gewalt, verbale wie physische, herrscht auch in Svenjas Elternhaus. Dort erzieht nur einer, und das ist der (Stief-)vater. Mit harter Hand und komplett frei von Liebe. Man denkt an Erziehungsmodelle, wie sie vor rund hundert Jahren schon von Wedekind, Musil, Hesse und den Mann-Brüdern angeprangert werden. So zwingt er Svenja beispielsweise, vor seinen Augen ein ganzes Päckchen der verbotenen Zigaretten am Stück zu rauchen, damit sie es sich abgewöhne. Die Mutter hat nichts zu sagen und sieht schweigend dabei zu, wie zwischen Mann und Kind die Beziehung erodiert. Damit ist ihr die Verachtung der Tochter gewiss, da helfen auch die zaghaften Gesprächsversuche nichts mehr. Es wundert einen nach solchen Szenen nicht so sehr, dass das komplett unbedarfte Schulmädchen nach irgendeiner Ersatzfamilie sucht, es müssten nicht unbedingt Neonazis sein, Hauptsache weg aus diesem familiären Huis Clos.
Kriegerin ist unglaublich spannend erzählt, er hält einen bis zur letzten Einstellung fest. In der ersten Hälfte lernt man staunend dieses gespenstische, ideologisch aufgeladene Milieu mitten im biederen deutschen Kleinstadthinterland kennen. Danach verfolgt man mit wachsender Bangigkeit die Entwicklung Marisas, die sich während Sandros Gefängnisaufenthalt – ausgerechnet – mit Rasul anfreundet. Dessen Hartnäckigkeit und sein Stolz haben ihr Eindruck gemacht – außerdem plagen sie Schuldgefühle, denn sie hat einen folgenschweren blutigen Unfall verursacht. Zunächst widerwillig, dann aber getrieben von einer wachsenden Überzeugung hat sie vor, ihm zu helfen, zu seinen Verwandten in Schweden zu kommen. Parallel zu Marisas Läuterungsprozess beginnt sich Svenja allmählich in der Gruppe zu etablieren. Zwischen den beiden jungen Frauen entwickelt sich eine Art geschwisterliche Freundschaft, allerdings befinden sie sich in unterschiedlichen Lebensphasen – und genau in dieser gegenläufigen Entwicklung liegt der Spannungsbogen des Plots.





Was mir nebst Marisas vielen Gesichtern am meisten bleibt von dem Film, ist nicht in erster Linie die Handlung, sondern das deprimierende Milieu, seine dumpfe Aggressivität und sein diffuser Hass. Dieser zusammengewürfelte Haufen perspektiv- und orientierungsloser Menschen, die als Kollektiv im Grunde schemenhaft bleiben, weiß nicht wohin mit sich. Ihre fragwürdigen Ideale wären zum Lachen, wenn sie nicht so erschütternd wären. Ihre Bereitschaft, dauernd ihren so sinnlosen wie willkürlichen kleinen Krieg zu führen, ist der ›last exit‹ vor der Selbstaufgabe, weil ihnen sonst nichts Besseres einfällt – und weil Geländeübungen auf Dauer genauso unbefriedigend sind wie eine geladene Waffe im Haus, die man nie abfeuern darf. Er muss raus, der Hass. 
Bei seinem heiklen Unterfangen, das schlagzeilenträchtige Phänomen des ostdeutschen Rechtsradikalismus zum Gegenstand eines Spielfilms zu machen, wendet Mnendt einen ähnlichen Trick an wie Steven Spielberg bei Schindler's List (1993). Um durch das Elend der Thematik dem Zuschauer nicht die Lust an einem abendfüllenden Spielfilm darüber zu vergällen, hat dieser einen deutschen Industriellen und Opportunisten zum Protagonisten gewählt, der in sich den Humanismus entdeckt. Hätte er sich stattdessen für ein jüdisches Opfer der Nazis entschieden, hätte er diesen der Glaubwürdigkeit zuliebe entweder sterben lassen müssen, was im Mainstreamkino die  Rentabilität und Familientauglichkeit einer Produktion gefährdet, oder ihn überleben und sich vorwerfen lassen müssen, dass er die große Ausnahme heroisiert, sozusagen Geschichtsklitterung und Historienkitsch betreibt.
Analog vermeidet Mnendt simple Erklärungsmuster à la ›So wird man Neonazi‹, die den anspruchsvollen Betrachter verärgern könnten. Und er stellt mit Marisa eine interessante Frau und Figur ins Zentrum seiner Erzählung, mit der man sich trotz allem mit der Zeit identifizieren kann. Er beantwortet keine Fragen und versucht keine exemplarische Analyse des stereotypen Neonazis. Und dient damit durchaus auf ästhetische und intelligente Weise dem Sinn der Sache – nämlich der Auseinandersetzung mit dem Thema des Rechtsradikalismus.

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