Samstag, 13. April 2013

The Flowers of War (China 2012)



Regie: Zhang Yimou
Darsteller: Christian Bale, Ni Ni, Zhang Xinyi


Die Mädchen, die Huren, der Saulus, der Krieg


Nanking 1937, eine Kathedrale inmitten der Trümmer der gefallenen Hauptstadt. Ein Dutzend Mädchen der Klosterschule verstecken sich in dem unter westlichem Protektorat stehende Gebäude vor dem Beschuss und den marodierenden japanischen Soldaten. Unter ihnen befindet sich Shu (Zhang Xinyi), deren Stimme die Geschichte im Voice-Over erzählt. Der kleine George, jünger als sie und Ziehsohn des toten Priesters, versucht tapfer, die Ordnung innerhalb der Kathedrale und der Mädchengruppe aufrechtzuerhalten. Er hat seinem sterbenden Vater versprochen, für ihre Rettung zu sorgen. 

Allerdings kann er nicht verhindern, dass ein Ausländer in das Gebäude eindringt. Christian Bale spielt den Amerikaner John, ein an Körper und Seele verwahrloster Bestatter auf der Suche nach Geld, Wein und einem Bett. George redet auf ihn ein, beschwört ihn, er solle den Lastwagen reparieren und die Mädchen damit aus der Stadt schmuggeln, denn als Ausländer genießt John Immunität. Doch der Zyniker stellt sich taub, er hat keine Lust, die Rolle des zur Rettung Berufenen einzunehmen und ist vorerst mit seinen eigenen Bedürfnissen beschäftigt. Erst mal sehen, was zu holen ist.

Kurz darauf muss sich der überforderte George erneut überrumpeln lassen, diesmal von einer Gruppe schöner, elegant angezogener Frauen, die inmitten einer Staubwolke von Schutt und Erde den Lippenstift nachziehen und an ihren Ausschnitten zupfen. Wie aus dem Nichts sind sie vor dem großen Tor aufgetaucht – eine Erscheinung aus einer anderen Welt, so inadäquat wie gefährdet. Die Klosterschülerinnen erkennen in ihnen die legendenumrankten ›Frauen vom Qin-Huai-Fluss‹ und begegnen ihnen von Beginn weg distanziert und feindlich, verkörpern sie doch die verabscheungswürdige und bedrohliche Gegenwelt zu ihrem eigenen frommen und geschützten Dasein. Und Shu ahnt, dass den Schülerinnen nun Konkurrenz erwächst, was ihre Rettung betrifft. Argwöhnisch beobachtet sie Johns Reaktion auf die schönen Frauen, besonders auf die schöne Yu Mo (Ni Ni), die selbsternannte Anführerin der nörgelnden und fordernden Frauen.

John verliebt sich auf Anhieb in Yu Mo und weiß nichts Besseres zu tun, als um sie zu werben, sie zu bedrängen, sie zu kaufen, gerade so, als tobte draußen kein Krieg und als wären nicht gerade das Leben von zwei Dutzend Menschen in Gefahr. Yu Mo verspricht sich ihm – unter der Bedingung, dass er sie und ihre Frauen unter seinem Schutz aus der Stadt führt. Gleichzeitig zeigt sie ihm, wie sehr sie ihn dafür verachtet, dass er dafür einen Lohn verlangt, indem er ihre Liebesdienste einfordert.


Krieg, Trieb und Opfer

Währenddessen hält außerhalb der Mauern der Kathedrale ein einzelner chinesischer Scharfschütze ein feindliches Bataillon erfolgreich in Schach. Die japanischen Soldaten sind gierig nach den Körpern der jungen Mädchen und bereit, dafür sogar ihr Leben zu riskieren. Doch Major Li (Tong Dawei) ist der Prototyp des uneigennützigen Soldaten und damit das Gegenstück zum egoistischen John. Er war es, der in der ersten Szene des Films selbstlos auf Rettung aus der Stadt verzichtete, als noch die Möglichkeit dazu bestand, und seinen Leuten befahl, stattdessen den Mädchen bei der Flucht in die Kathedrale Feuerschutz zu geben. Seither beobachtet er durch sein Zielfernrohr die Vorgänge rund um die Kathedrale und versucht als letzter bewaffneter Chinese das Schlimmste zu verhindern. Ein Selbstmordkommando, ein Opfergang. Das Thema des Films.

Es folgt eine von zwei sehr schlimmen Szenen des Films, die man nicht so rasch vergisst. Sie macht pars pro toto nachvollziehbar, wieso viele Chinesen den Japanern bis heute nicht verzeihen können – ›The Flowers of War‹ beruht auf historischen Tatsachen. Zhang Yimou wagt den Balanceakt, Kamerabewegung und Schnitt verbergen die schlimmsten Details elegant. Trotzdem traut man seinen Augen nicht, möchte wegsehen, weghören, ausschalten. Sind das noch Menschen? Kann man so werden, wenn man nur lange im Krieg war, wenn man ein Gewehr in die Hand gedrückt bekommt und man uns freie Hand läßt?

Die japanischen Soldaten wollen nicht eher ruhen, als bis ihre Lust gestillt ist und sie sich die Frauen gefügig gemacht haben. Dem Raubtier seine Beute. Ohne Chancen auf Rettung fliehen die Schülerinnen vor der Übermacht durch die Weiten der Kathedrale. Dabei verhindert Shu, dass ihre Peiniger die Prostituierten entdecken, die sich rechtzeitig im geschützten Keller versteckt hatten. Die Minderjährige liefert sich und ihre Kameradinnen den Männern aus, um andere davor zu verschonen. Ein zweiter Opfergang. Yu Mo und die ihren stehen in der Schuld der minderjährigen Schülerinnen. 

Starke Frauen – und ein Saulus wird zu Paulus

John bleibt nur die Zuschauerrolle, vergeblich stellt er sich den Japanern in den Weg. Hatte er sich das Priestergewand ursprünglich nur übergestreift, um auf billige Weise bei Yu Mo Eindruck zu schinden und sie dazu zu überreden, mit ihm zu schlafen, versucht er sich nun damit bei den Soldaten Autorität und Gehör zu verschaffen. Doch Worte und Werte zählen nichts. Wer wie diese Männer sämtliche Hemmungen fahren lässt und die Menschenrechtskonventionen mit Stiefeln tritt, nimmt auch keine Rücksicht vor einer Priesterkutte. John erlebt den Überfall als seine Läuterung – und so wird mit etwas Verzögerung aus dem Saulus ein Paulus. 

Kurz danach findet sich der japanische Oberst Hasegawa in der Kathedrale ein, ein Offizier mit Bildungshintergrund und Ehre, der die humanitären Grundsätze verinnerlicht hat. Er entschuldigt sich bei den Opfern, spielt auf der Orgel ein melancholisches Lied, in dem es darum geht, wie sehr sich der Soldat nach der Heimat sehnt, und lässt sich ein Kirchenlied vorsingen. Das Schlimmste scheint vorüber, die unmittelbare Gefahr ist gebannt. Dennoch gilt es, so rasch als möglich die Flucht vorzubereiten. Eines Tages taucht Hasegawa auf und erzählt von einem Fest, zu dem die Schülerinnen einladen sind. Sie sollen singen. Singen? An dieser Stelle, als der Film in seine lange finale Phase  mündet, möchte ich den Plot verlassen.

›Der Krieg ist der Vater aller Dinge‹, sagt Heraklit. Kein leicht zu erklärender Aphorismus, zumal nicht mit seinem absoluten Anspruch, aber durchaus herleitbar, wenn man länger darüber nachdenkt. Ich will abschließend in wenigen Worten versuchen, ihn auf Zhang Yimous Film anzuwenden, der einen über die Regeln des Kriegs exemplarisch nachdenken lässt. Der Krieg schafft in seiner Radikalität durch die Zerstörung auch Raum für Neues, er fordert uns alles ab, er löst starke Regungen in uns aus, holt das Schlimmste und das Beste aus uns heraus, schafft uns insofern neu. Das ist ein Gedanke, den man in ›The Flowers of War‹ durchaus wiederfindet. Zhang Yimou erzählt einerseits davon, welche gnadenlose Opferrolle Frauen im Krieg zu spielen haben. Und er erzählt von den Veränderungen, die  in dieser Extremsituation mit Menschen vor sich gehen, vom Mut dieser Frauen, von Solidarität, Mitgefühl und dem Opfergedanken. Das mag kitschig klingen, aber es rührt einen, ohne dass der Film kitschig ist. Für mich stehen diese Frauen im Übrigen klar im Vordergrund, die Figur des Christian Bale im Hintergrund, auch wenn er die zentrale Hauptrolle besetzt. Die Figur des John scheint mir auch viel weniger interessant als das Kollektiv der beiden Frauengruppen, das mag man dem Film ankreiden. Angesichts von deren Leid kommt einem John weder als Saulus noch als Paulus wirklich nahe.

Schutt und Farbe

Wie all von Zhang Yimous Filmen, die ich kenne, bietet auch ›The Flowers of War‹ viel fürs Auge, auch wenn er in einer düsteren Trümmerlandschaft und vor allem in Innenräumen spielt. Glasscheiben, die am Boden in viele Scherben zersplittern; die Farben der Rosette der Kathedrale, in die der Raum und die Gesichter der Mädchen getaucht sind; die schönen und gepflegten Gesichter der Prostituierten, die teilweise in gespieltem Hochmut, teilweise aus Professionalität versuchen, die Würde aufrechtzuerhalten, die sie ihrem Ruf entgegenzusetzen haben. Die offenen Gesichter der Mädchen. Besonders auffällig die subjektiven Blicke, die einem immer wieder gezeigt werden: der Soldat, der durch sein Zielfernrohr den verlorenen Schuh, die schöne Yu Mo oder die Granate erfasst und je nachdem Trauer, Sehnsucht oder Entschlossenheit vermittelt, Shus Blick auf die sich nähernden Prostituierten durch das zerbrochene Glas des Kirchenfensters, Yu Mos Blick zu Shu, als diese sich entschließt, deren Versteck nicht den Japanern preiszugeben etc. etc.. Es sind Blicke, die einem immer wieder zeigen, wie der einzelne den anderen wahrnimmt und wie er dabei fühlt. Und bringen einem damit die Figuren nah.

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