Samstag, 11. Mai 2013

Compliance (USA 2012)

Bildquelle

Regie: Craig Zobel
Darsteller: Dreama Walker, Ann Dowd, Pat Healy


»Yes, Sir.«

Autoritätsgläubigkeit, Kadavergehorsam, Kafka


Man traut seinen Augen nicht in diesem Film. Was er erzählt, soll sich in den USA 60-70 mal abgespielt haben, heißt es im Abspann.

Ein Fast-Food-Restaurant irgendwo in den verlorenen Weiten der USA, das unheimliche Amerika, wo Männer ausschließlich Pick-Up-Trucks fahren. Wo die Menschen selbst wenn sie in Gruppen auftreten wie zufällig zusammengewehte Strohballen wirken. Wo der antrainiert muntere Verkaufston am Tresen eine grundlegende Daseinsverlorenheit der Seelen nicht verbergen kann, sie eher unterstreicht. Amerika the beautiful? Eher weniger.

Dort also steht eine hektische Nacht bevor, denn es ist Freitag, da gönnen sich die Menschen aus dem Umland klebriges Hühnchen und fettige Pommes zur Feier der abgelieferten Arbeitstage. Und spülen sie mit Cola aus Plastikeimern runter. Tristesse, wohin man sieht. Aber die Kasse, sie muss gefüllt werden, wann wenn nicht heute. Wehe, es sind nicht genug Gurken da oder ein Menu geht aus. Umsatz ist alles. Umso ernster die Beschäftigten in ihren unsäglich gelben Uniformen, bleich wie das Neonlicht, in dem alle wie Zobies aussehen. Chefin Sandra redet ihnen ins Gewissen und peitscht sie ein wie ein Trainer seine Mannschaft vor einem Football-Match. Man bekommt den Eindruck, sie ziehen in den Krieg.


Da klingelt das Telephon und es meldet sich ein Officer Daniels. Becky, die jüngste ihrer Angestellten, soll eine Kundin beim Bezahlen bestohlen haben. Das Opfer habe Anzeige erstattet und Sandra müsse ihnen die Aufgabe abnehmen, die Delinquentin festzuhalten, es sei gerade viel los. Ungläubig, aber ohne zu zögern, folgt Sandra den Anweisungen des Officers, führt Becky in das Hinterzimmer, wo sie in der Folge Schritt für Schritt ihren gesunden Menschenverstand verlieren, ihre Eigenverantwortung abgeben und die Menschenwürde mit Füßen treten wird.





Becky hat vom ersten Moment an alles bestritten, und alle wissen: sie würde nie lügen. Man kennt sich, man weiß, wozu der andere fähig ist und wozu nicht. Aber der Officer. Der Officer, der ist ja kein Dahergelaufener. Der weiß schon, was er tut. Der hat ja so viel um die Ohren, das muss doch. Und wie ernst er spricht, wie streng, auf alles hat er eine Antwort. Und er will mit »Sir« angeredet werden. Ja, Sir. Becky muss auch mit ihm sprechen. Wo sie das Geld versteckt habe. Sie hat kein Geld versteckt. Sie hat überhaupt nichts getan. Sie solle nicht lügen. Schließlich habe das Opfer sie genau beschrieben. Ob sie glaube, ihm mache das Spaß? – Nein. – Wie heißt das? – Nein, Sir.


Becky muss sich vor den Augen von Sandra ausziehen. Becky hat einen Job zu verlieren. Die Kleider sollen ihr abgenommen werden. Officer Daniels ist sehr penibel, er lässt sich alles genau beschreiben. Natürlich ist er kein Unmensch, er hat Verständnis dafür, dass Sandra nun etwas Skrupel zeigt, zögert, Becky in Schutz nimmt, nachfragt, ob er sicher sei, das kann doch nicht. Doch, das kann. In einem ewigen Mantra weist Officer Daniels auf die Dringlichkeit der Situation hin, auf die Verantwortung aller Beteiligten, ihre Pflichten – und die Konsequenzen, die ihnen drohen, wenn man seinen Anweisungen nicht folgt. Und die sehen vor, dass sich Becky ganz ausziehen muss.



Lob für Sandra von Seiten des Officers. Sie mache ihre Sache sehr gut, sie helfe ihm sehr. Zuckerbrot und Peitsche. Ihre Verantwortung. Was sie der Gesellschaft schuldet. Seine Verantwortung. Vor allem seine. Er kommt ihr scheinbar entgegen, stellt Milde in Aussicht, droht aber mit den Alternativen. Gefängnis. Der Ruf. Und er weiß. Das Verbrechen. Er kennt die Menschen. Wozu die fähig. Sandra hat ja keine Ahnung. Und er. Er ist das Gesetz. »Ja, Sir.« 

Becky muss sich bücken. Und warten. Ohne Ende. Unter Bewachung. Doch Sandra muss sich um den Betrieb kümmern. Die Kunden. Die Angestellten. Sie lässt sich von ihrem Freund ablösen. Die beiden wollen heiraten. Spätes Glück. Mit ihm wird sie sich diese Nacht zum letzten Mal unterhalten haben. Dafür wird Officer Daniels sorgen.

Die Absurdität liegt offen da, sie nimmt ihren Lauf und wir sehen dabei zu, wie ein Mensch gedemütigt wird, wie sämtliche Beteiligte sich zu Hilfssheriffs machen lassen und kollektiv versagen. Sie versagen vor der Autorität, die sie noch mehr fürchten, als sich Hamlet vor seinem Vatergeist fürchtete und Kafka vor seinem Patriarchenvater. Überhaupt Kafka: Schuldig auf Verdacht. Das Unfassbare. Die anonyme Macht am Draht. Während am Tresen Hühnchen um Hühnchen verkauft wird. Pommes. Eimerweise Soft Drinks. Während der Laden brummt. Und während uns die Kamera schon lange den vermeintlichen Officer Daniels als Privatmann an seinem Schreibtisch gezeigt hat. Wille zur Macht. Ergötzen an Ohnmacht.

Der Film tut weh, weil man das Groteske der Situation kaum aushält, doch er ist wirklich stark gemacht. Immer wieder verlässt die Kamera das schäbige Büro, in dem Becky, nur mit einer Schürze bekleidet, ihr Schicksal zunehmend apathisch über sich ergehen lässt. Die erbärmliche Rückseite des nicht minder erbärmlichen grellen Scheins. Die Kamera erkundet die Ecken und Facetten des Restaurants, dieses gruseligen Biotops, die Küche, der Schmutz, die Fliesen, das Fett, die Spüle, die Handgriffe der Angestellten, die Ware, die Kunden. Was für ein Ort, wehe du siehst genau hin.  Vorderwelt und Hinterwelt, das Offensichtliche und das Verborgene. Beides ist unheimlich, beides ist düster, hier der unerhörte Vorgang und die Macht, die in den Köpfen der Menschen steckt, dort der unerträgliche Ort und die Menschen, die ihn bewohnen.

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