Sonntag, 19. Mai 2013

Django Unchained (USA 2012)


Regie: Quentin Tarantino
Mit: Jamie Foxx, Christoph Waltz, Leonardo di Caprio, Samuel L. Jackson


»I’m afraid I must insist in the opposite direction.«

Eine persönliche Vorbemerkung: Der Western gehören zu denjenigen Genres, die mich kaum noch interessierten, seit ich mit meinem Fasnachtscolt auch meine Kindheit abgelegt habe – oder spätestens nach meiner Karl-May-Phase (zu Heavy-Metal-Musik) in den ersten Teenagerjahren. Nur noch im Rahmen des Studiums (John-Ford-Marathon im Programmkino: 6 Filme ohne Pause) oder in Ausnahmefällen wie Kevin Costners bittersüßes ›Dances With Wolves‹ (1990) oder Ron Howards Neo-Western-Thriller ›The Missing‹ (2003) ließ ich mich darauf ein.

Frage: Muss man nun Western mögen, um sich ›Django Unchained‹ anzusehen? Antwort: Nein. Denn es ist eigentlich gar kein Western. Er tut nur so. Es steht noch nicht mal Western drauf. Und es ist noch mal viel weniger Western drin als im ›True Grit‹-Remake der Coen-Brothers (USA 2010).

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Amerika im Jahre 1858: Ein Schwarzer auf einem Pferd? Ein Skandal an sich. Dieser aber trägt wahlweise einen lächerlichen königsblauen Anzug mit ausladender weißer Halskrause oder eine John-Lennon-Brille mit grünen Gläsern. Und er legt Wert darauf, dass das D am Anfang seines Vornamens nicht ausgeprochen wird. Denn es ist ein stimmloses D. Alles klar? Dazu Rhythm’n Blues aus dem Off. Hippie-Athmo wie bei ›Hair‹. Plus: keine Indianer. Aber auch ohne sie: jede Menge Farbe.


War der Drehbuchschreiber angeschickert? Hat sich da einer im Jahrhundert vertan? Nein, wir sind in Tarantino-Country, dem anderen Wilden Westen. Dem ganz wilden Westen. Bunt, dick aufgetragen, brutal und anregend. Gewagt, gekonnt, verspielt. Drama, Komödie, Fasnacht und Punk. Herrlich.

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Der Spannungsbogen ist denkbar simpel. Django (psst… stimmloses D!) ist gerade der Sklaverei entronnen und will nun seine geliebte Frau finden und sie aus ihren Ketten lösen, auf dass sie ein neues Leben in Freiheit beginnen. Wenn das mal kein klassischer Stoff ist: Perseus, Paris, Orpheus etc. etc. – wie viele Mannsfiguren der griechischen Mythologie haben da nicht Modell gestanden, indem sie schöne Frauen aus den Klauen von Vätern und anderen Bösewichten befreiten. Mal ging das gut (Perseus bekam seine Andromeda), mal vorläufig gut (Helena folgt Paris nach Troia, um dort als  wohl prominentester MacGuffin der Kulturgeschichte zu verschwinden), mal nicht (Orpheus dreht sich zu früh nach seiner Eurydike um, worauf sie wieder in die Unterwelt zurückkehren muss).

Djangos Andromeda/Helena/Eurydike heißt – von wegen Zufall – Broomhilda von Shaft. – Broomhilda? Wäre Django der deutschen Sprache mächtig, wüsste er, der auf sein stimmloses D besteht, dass der Name korrekt Brunhild lautet. Und dass auch sie eine Sagenfigur ist. Und was für eine. Doch Django lebt irgendwo im Amerika des 19. Jahrhunderts und damit weit weg, seeehr weit weg von einem Europa, das seine kulturellen Wurzeln kennt und pflegt, sie zum Schulstoff deklariert und auf die Bühne bringt.


Doch Django hat Glück. Im doppelten Sinne. Ihm begegnet Dr. King Shultz, ein deutscher Kopfgeldjäger mit einem eigenwilligen, gedrechselten Englisch, über dessen Planwagen zur Tarnung ein überdimensionaler Zahn wackelt. Was für ein Bild. Shultz benötigt Djangos Dienste, um die nächsten Kandidaten auf seiner Liste ins Jenseits zu befördern, weshalb er ihn zu Beginn des Films zuerst freikauft  – nicht ohne Kollateralschaden anzurichten – und dann zu seinem Adlaten und Kompagnon macht. Dabei bringt er ihm abgesehen vom Schießen auch noch etwas europäische Kultur nahe. Anlass ist eben der Name von Djangos Liebster. 

Shultz erfreut sich an dem Umstand, dass Broomhilda Deutsch spricht, sowie daran, dass sowohl ihr Name wie auch ihre Situation an das legendäre Mannsweib denken lässt –und zwar bevor sie im Nibelungenlied ihren Gatten Gunther in der Hochzeitsnacht an den Kleiderhaken hängt und sich mit dem düsteren Hagen gegen Siegfried verschwört. Was folgt, ist ein dialogischer Exkurs in eine Nische der germanischen Heldenepik, mitten im wildwestamerikanischen Nirgendwo, wie man es nur aus Tarantinofilmen kennt: Wotans Tochter Brunhild wird von ihrem Vater wegen Ungehorsam auf einem Berg festgehalten, umgeben von höllischem Feuer und bewacht von einem Drachen. Sie wartet auf den Helden, der prompt kommt. denn auch Brunhild hat Glück: Auftritt Siegfried, Held, angstfrei. Er besteigt den Berg, tötet den Drachen und geht für die ihm völlig unbekannte Hildi durchs Feuer, ohne Auftrag – einfach »because she’s worth it«.

Hach. Helden. Die durch die Hölle gehen. Was tut man nicht alles für die Liebe? Wie gesagt: Der Spannungsbogen für ›Django Unchained‹ ist sehr simpel. Und Tusch.

Christoph Waltz erzählt diese Lagerfeuergeschichte mit dem ihm eigenen trockenen Pathos. Auf Djangos Verwunderung darüber, dass Brunhild auf einem Berg gefangen ist, antwortet er lapidar: »It’s a German legend, there’s always going to be a mountain somewhere in there.« Wie schon in ›Inglorous Basterds‹ (2009) kultiviert der doppelte Oscar-Preisträger Waltz den filmischen Westen mit gekonnten Pausen, präziser Mimik und dem Mut zu großem Zirkus. 


So heldenhaft Django und so eloquent und gebildet Shultz sind, so verschlagen und dumm sind sämtliche andere Bleichgesichter in Tarantinos Figurenarsenal. Das gilt auch für di Caprios diabolische Figur des Calvin Candie, dessen »comfort girl« Brunhild nun ist und der sich mitten in der Pampa wie ein Fürst eingerichtet hat, ein frappierender Kontrast zur Ödnis draußen und zur Menschenschinderei, mit der er sein Geld verdient. 


Direkt vorm gemütlichen Kaminfeuer lässt er sich von Gladiatorenkämpfen sogenannter Mandingos unterhalten. Schnitt. Gestärktes Leinen, opulentes Silberbesteck, dezente Farben, samtener Wein. Mit schönen Detailaufnahmen wird gezeigt, wie luxuriös er sich eingerichtet hat, wie auserlesen sein Geschmack ist, man wähnt sich auf einem Luxusdampfer. Derweil seine Schergen mit Waffen den Laden zusammenhalten und verhindern, dass diese Welt in der Welt von denjenigen Stützen gestürzt wird, deren Sklavendasein sie erst ermöglicht haben. Darüber wundert sich Candie mehr verblüfft als amüsiert, als er am Tisch seine Gäste unterhält – Shultz und Django. Warum wehren sie sich nicht?


Der Böseste von allen allerdings ist Samuel L. Jackson in der Rolle des alteingesessenen Sklaven und Hausberaters Stephen. Wie bitte? Der Schwarze als der böseste Weiße? Das Opfer ein Täter, eine maßgebliche Stütze des Rassismus? Ein Verräter am eigenen Volk? – Dünnes Eis, sagen manche. Heikel, heikel. So wie andere sich daran entzünden, dass Django erst vom weißen Deutschen das Schießeisen zu beherrschen lernt. Eine milde Gabe. Ein Kinderdankeschön. Hilfe zur Selbsthilfe. Nun, ›Django Unchained‹ bietet Anlass, darüber nachzudenken oder zu streiten, wie historisch oder ahistorisch, wie provokativ, unnötig, opportunistisch und billig, oder wie frech, mutig, realistisch oder konsequent es ist, hier ein wenig im PC-Salat zu rühren. 

Parallelen zu verwandten Bereichen mit ähnlichen Fragen und Tabus bieten sich einige an: In ›Eden‹ (USA 2012, Besprechung folgt auf diesem Blog), einem der zahlreichen engagierten Filme, die vom Problem des Frauenhandel erzählen, arbeitet eine als ›Ärztin‹ fungierende Frau Hand in Hand und in strengem Regime mit den skrupellosesten Männern zusammen – sie war ursprünglich auch nur eine der in einem Massenlager zur Prostitution gezwungenen Frauen, konnte sich aber hocharbeiten. Man denkt vielleicht an Geschichten über jüdische Aufseher und Aufseherinnen in den KZ der Nazideutschen. Oder an muslimische Mütter, die ihren Töchtern die Genitalien verstümmeln, weil sie von ihren Vätern und Müttern dazu erzogen wurden, dass das eine gute, weil notwendige Form von Gewalt ist etc. 

Wie gesagt: darüber kann man sich sehr gut streiten und unterhalten, das ist spannender Stoff und gibt vielleicht Anlass, sich in geschichtlichen Quellen umzutun und seine Kenntnisse darüber zu vertiefen, wie tief der Sumpf jeweils war oder ist, in den sich die menschlichen Gesellschaften zu allen Zeiten verstricken. Wo die Grenzen zwischen Opfern und Tätern zu ziehen sind. Ob überhaupt. Wie genau sie zu ziehen sind. Wie relativ sie zu betrachten sind. 

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Tarantino kümmert sich hier nicht um Dialektik. Würde man ihm vorwerfen, er riskiere zu viel bei seiner Spielerei mit dem moralischen Feuer, würde er womöglich mit einem der vielen schönen Sätze seiner Figur des Dr. Shultz antworten: »I'm afraid I must insist on the other direction.« Er erzählt einfach. Und er tut das auf sehr unterhaltsame Weise. Und auch für jene, die mit Western nichts am Hut haben.

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PS Was die Gewalt betrifft: Ja. Man muss einzweimal wegsehen und weghören. Es war schon schlimmer bei Tarantino. Und es könnte schlimmer sein. Zumeist fliegen seine Figuren derart durch den Raum, wenn sie angeschossen werden, dass man an Tex-Avery-Filme denkt, nicht an real life. Klar, das Blut fließt, das Fleisch spritzt zuweilen unangenehm, doch es geschieht mit dem gewissen Augenzwinkern, weshalb ich es diesmal erträglich fand und hinnahm – zugunsten des tollen Drehbuchs und der wirklich genialen Dialoge.

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