Mittwoch, 5. Februar 2014

Max Frisch: Aus dem Berliner Journal

Inspirierender Inspirierter (von Uwe Johnson)


Mehrere Seiten von Max Frisch, die mir beim Lesen dieser Tagebuchauszüge aus den frühen Siebzigern auffallen, machen ihn mir sympathisch, am meisten vielleicht seine Fähigkeit, Menschen, die er bewundert oder mag, durch Beschreibung in ein schönes Licht zu stellen. Zum Beispiel seine Nähe zu Uwe Johnson, dem über zwanzig Jahre jüngeren Autoren der ›Jahrestage‹ etc., der heute so vergessen scheint. Zwischen den beiden hat sich in wenigen Monaten eine Freundschaft entwickelt.
Frisch bewundert Johnsons geistige Regsamkeit, seine Fähigkeit, zuzuhören; es fällt generell auf, wie oft Frisch diese Fähigkeit, wie auch diejenige, Fragen zu stellen, auf jemanden einzugehen zur Sprache bringt. Und er attestiert ihm Züge, die ihn interessant machen, die machen, dass man Johnson gerne kennenlernen würde, zum Beispiel hier:
»Was bei Alkohol […] zum Vorschein kommt, entlarvt ihn nicht; er erscheint als Verwundeter, aber nicht kleiner. […] Und dazu sein Gedächtnis: indem er sich genauer an Nebensachen erinnert (wo man gestanden hat, wann es gewesen ist usw.) und den andern dadurch unsicher macht, befestigen sich ihm auch seine Unterstellungen, seine Interpretationen; er dichtet, er interpoliert und zwar so klug, dass ich mit meiner Erinnerung, die Lücken hat, nicht dagegen aufkomme […] Er vergrößert. Eine Bagatelle […] bekommt Gewicht, oft auch Glanz; er schafft Bedeutung, die er dann durch Zitat belegt, und das Zitat mag ja stimmen. Man kommt sich vor wie eine Gestalt unter den Händen eines starken Autors, eines Dichters, der hartnäckig so tut, als rapportiere er bloß.« 
 (S. 153)

Auch wenn sich Lob und Bewunderung mit leisem Klagen mischt (Kontrollverlust, Fremdbestimmung), dominiert die Faszination für diese Gabe einer Verknüpfung von Erlebtem und Erfundenem resp. Hinzugefügten zu einem erzählerischen Ganzen, das geistreich und stimulierend sein muss, folgt man Frischs Aussagen und seinem Tonfall.
Mir machen diese Beschreibungen jedenfalls sofort Lust, hier und jetzt einige Tage mal wieder Uwe Johnson zu lesen, auf seine Sensibilität und seine Zärtlichkeit um Umgang mit seinen Figuren, die Frisch ebenfalls erwähnt.
Diese Fähigkeit, Interesse und Lust zu wecken, ist Frischs Beschreibung zu verdanken. Inspiration kann ansteckend sein.

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