Samstag, 10. Mai 2014

Dabba / Lunchbox (Indien 2013)

Regie: Ritesh Batra

Trailer

Sag's mit Curry

Manierlich zu essen, ist eine Kulturtechnik, welche in meiner Lebenswirklichkeit die wenigsten beherrschen. Meistens fehlen die Zeit und Muße. Man möchte rasch den ersten Hunger stillen, nimmt hin, was das Angebot hergibt, verschlingt Mitelmäßiges, als gäbe es kein Morgen, stürzt den Espresso hinterher und macht damit seinem Namen alle Ehre. Könnte der sich nur wehren, er würde sich in sich selbst ertränken.
Dazu quatscht man Geschäftliches und anderen Unsinn. Kommunikation ist wichtig, Zeit ist Geld. Die Funktion der Kalorienaufnahme beherrscht die gesamte Dramaturgie. Keine Anmut, nirgends. 


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Um so schöner ist es, dem Buchhalter Fernandes (Irrfan Khan) dabei zuzusehen, wie er sich den Mittagstisch herrichtet. Behutsam, beinahe zärtlich breitet er die blechernen Schälchen vor sich aus, linst neugierig mal in das eine oder beschnuppert mit Kennerblick das andere, um dann mit einem Löffelchen kleine Portionen auf seinem flachen Teller zu platzieren. 
Man beneidet ihn. Welche Geduld, welcher Feinsinn, welche Selbstbeherrschung sprechen aus seinen Bewegungen und seiner ganzen Haltung, mit der er ganz für sich alleine aus einem alltäglichen Vorgang einen Akt bereitet. 

Und das in sehr profaner Umgebung. Wir befinden uns in einem Aufenthaltsraum seiner Firma in Mumbai und es fällt auf, dass sämtliche Angestellten Mitgebrachtes essen, manche auch nur etwas Obst. Viele lassen sich das Essen mit dem Kurier bringen, aus Imbisstuben oder von den eigenen Ehefrauen. Eine der wiederkehrenden Handlungen des Films ist der Weg, den die Lunchbox von Haustür zu Büroplatz zurücklegt, auf Fahhrädern und Lieferwagen und im Zug, neben Koffern und Hausrat quer durch die Metropole. Ganz schön umständlich. 
Man lernt: Die Nahrungseinnahme am Arbeitsplatz und das Food-delivery-System funktioniert dort ziemlich anders als bei uns. Und wer auf sich hält, der isst keine Bananen zu Mittag, die nur den Magen zustopfen, damit man möglichst rasch weiterarbeiten kann. Eine Unsitte, findet Fernandes, der sich in Kulturpessimismus übt. Und eine Schande für ein Volk, das bloß um im ökonomischen Wettstreit die Nase vorn zu haben seine Esskultur über Bord wirft. Doch was Wunder: Unsitten breiten sich rascher aus, als sich althergebrachte Traditionen umsehen können. 





Alles beginnt mit einer Panne: Der Witwer Fernandes bekommt eines Tages eine Lunchbox mit Essen von solch außerordentlicher Qualität, dass er es gar nicht fassen kann. Ansehen tut man ihm das zwar kaum, denn er ist ein zurückhaltender Mensch und uneuphorisch veranlagt. Aber seine Miene verrät die Genugtuung des kleinen Mannes, dem ein unverhofftes Glück zuteil geworden ist. Am Folgetag liegt ein Zettel bei: ob es denn geschmeckt habe. Seltsamer Lieferservice.

Was der Zuschauer weiß: die Lunchbox ist fehlgeleitet. Das Essen wurde von der schönen Ila (Nimrat Kaur) liebevoll gekocht und ist gedacht, ihrem Mann die Pause zu versüßen. Der Vielbeschäftigte sollte an der Qualität der Speisen ihre Liebe erkennen und wieder etwas zärtlicher zu ihr sein. Denn seit geraumer Zeit beeinträchtigen fragwürdige Überstunden und sein Mobiltelefon die noch junge Ehe. Doch er hat weder Nerven für ihre abendlichen Fragen, ob ihm am Essen etwas aufgefallen sei, noch Augen für die schönen Kleider, die sie extra für ihn anzieht. 

Ein desinteressierter Gatte ist schwer zu ersetzen, um so mehr freut sich Ila über die Antwort, die sie vom mysteriösen Empfänger ihrer Lunchbox erhält. Geht es bei ihrem nun einsetzenden Briefwechsel zu Beginn noch um das gelieferte Essen, entspinnt sich nach und nach ein vorsichtiger Austausch darüber, wer man ist und worauf man hofft, das Leben und die Liebe. Parallel dazu entspinnt sich eine seltsame Beziehung zwischen Fernandes und seinem etwas anstrengenden Nachfolger Shaik (Nawazuddin Siddiqui). 

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Eine bezaubernde Idee, ein harmloser, unspektakulärer Film, eigentlich ein Kammerspiel zu Themen wie Gewöhnung, Verzicht, Aufbruch. Und eine Anleitung, wie man richtig isst.

Denn was ich an diesem und ähnlichen Filmen aus anderen Kulturen auch mag: sie erzählen nicht nur ihre Geschichten erfrischend anders, sondern mischen auch das eigene eingespurte Verständnis alltäglicher Abläufe auf. Wer Fernandes dabei zugesehen hat, wie man sich seinem Essen mit Aufmerksamkeit und Bedächtigkeit widmen kann, will es ihm gleichtun. Kampf der lieblosen Einverleibung von Sättigungsmitteln. Du bist, was du isst. Falsch. Du bist, wie du isst. Oder wie ging das nochmal?

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