Dienstag, 15. Juli 2014

Dirk Kurbjuweit: Zweier ohne (2001)


Unter der Todesbrücke am Fluss des Lebens


Die Novelle deckt ca. 7 Jahre ab. Der mittlerweile erwachsene Johann erzählt im Rückblick von seiner innigen Freundschaft mit Ludwig, seinem Verhältnis zu Vera und Josefine und den Dingen, mit denen er und Ludwig sich die Zeit vertreiben. Aus den Freunden werden rasch Ruderpartner, und die Wahl ihrer Gattung – siehe Titel – steht für die besondere Natur ihrer Freundschaft, soll heißen für ihren deklarierten Willen, zusammen eins zu sein. Sie entscheiden, dass das am besten geht, indem sie sich einander angleichen. 
Die Geschichte ihrer Annäherung bietet jede Menge bewährter Elemente eines unterhaltsamen Jugendromans. Freundschaft, Mutproben, sexuelle Initiation, vor allem der zugleich zuversichtliche wie ängstliche Blick auf die Welt, die man nicht versteht – einschließlich einen selbst. Ein Beispiel:
»Wir waren sechzehn […] wir fanden uns unerträglich, und wir hofften so, dass es Menschen gibt, die das anders sehen. Nie hat man größere Zweifel und nie größere Hoffnungen, in derart raschem Wechsel. Es ist kaum zu ertragen. Und dann kommt jemand und sagt: Ich will genauso sein wie du. Wie phantastisch das ist. Wie sicher das einen macht. Denn weil wir sonst so unsicher waren, stellte jeder andere eine Bedrohung dar. Jede neue Jacke, die ein anderer trug, warf die Frage auf, ob damit nicht alle Jacken, die man selbst hatte, erledigt waren, ob man nicht sofort auch diese Jacke haben müsse. Wir lauschten jedem Wort nach, jeder Betonung, um herauszufinden, ob das nun das neue Wort, die neue Betonung werden könnte.« (49)
Das anarchische Moment, das uns besonders in der Jugend umtreibt, irritiert und beutelt, als sei dauernd alles möglich und ebenso sehr wahr wie nichts, spiegelt sich in dem Tonfall genauso wie die Neugier und die Sehnsucht nach allem Unbekannten. Er ist wahrhaftig, echt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Kurbjuweit ist nicht um Originalität bemüht, er distanziert sich nicht, biedert sich nicht an. Das Unbeschwerte überwiegt, die melancholischen Töne bleiben leise. Verlorenheit und Ausgeliefertheit an bestehende Umstände, jaja, aber auch Zuversicht und das Gefühl der Selbstverständlichkeit, dass einem die Zukunft gehört. Die man halt blöderweise noch nicht kennt. Was sie aber mindestens so sexy macht, wie sie einen zu beunruhigen vermag.

***

Und dann der Tod. Auch so etwas Großes, Fremdes, Anstrengendes, wie Sex oder Erwachsensein. Er findet in Form der gewaltigen Autobrücke statt, unter der Ludwigs Haus steht und von der sich regelmäßig lebensmüde Menschen stürzen. Diese schwer nachvollziehbare fremde Unlust am Leben ist auf diese Weise dauerpräsent im Leben der beiden Freunde, die doch noch am Anfang stehen, eigentlich noch VOR dem Anfang, denn sie haben ja noch nicht mal einen Führerschein oder ein Leben unabhängig von den Eltern, die gleich Aliens irgendwie koexistieren und doch komplett irrelevant sind (nur alt aussehen dürfen sie nicht, das wäre peinlich).
Der Tod also eine Konstante wie das Rudern oder Vaters Werkstatt, wo interessante Motorräder aus dunklen vergangenen Zeiten darauf warten, wieder instandgesetzt und irgendwann mal gefahren zu werden. Solange noch kein Führerschein da ist, tut man so als ob und macht Geräusche mit dem Mund. Ein Nebeneinander von Ende und Aufbruch.    

Die Intensität der sinnlichen Wahrnehmung von Situationen, Gegenständen und Gerüchen, die mit dem Älterwerden leider oft verloren gehen, ist eine weitere Stärke dieser kleinen  Entwicklungsgeschichte. Der ständige Aufbruch in neue und fremde innere und äußere Situationen schärft die Sinne. Nochmals einzwei Beispiele:
»Es war in diesem Haus alles anders, als ich es kannte. […] Es gab so viel Zufall hier, ein Luftfilter auf einer Fensterbank, eine Glühbirne mit geborstenem Draht zwischen Büchern, drei Geldstücke auf der Armlehne eines Sofas; die Dinge schienen auf ewig dort zu bleiben, wo jemand sie achtlos abgelegt hatte. […] Die Vorhänge hingen nicht mehr an allen Ringen, es war staubig, wenn auch nicht schmutzig. Der Geruch von langem Wohnen, langem Leben zwischen diesen Wänden.« (28f.)
»[…] meine Hand, ich glaub die rechte, lag auf ihren Rippen, nein, Rippen klingt vielleicht komisch, sie lag unterhalb ihrer Achselhöhe, der rechten Achselhöhe, und zwar so, dass die Mitte des Mittelfingers die beginnende Rundung fühlte, dieses wunderbare gewölbe unter dem Arm, aber noch wichtiger für das, was ich hier erzählen will, ist vielleicht die Lage des rechten Daumens. […] (74) 
Und der Spannungsbogen? Der ist damit gegeben, dass die eingangs genannte Vera Ludwigs Schwester ist. Der Rest ist Lesen.

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Storyline in Ehren, aber auch ohne sie bietet Zweier ohne in lediglich zwei Lesestunden viel schnörkellos erzählte Üppigkeit einer Jugend, ein wirklich schönes Buch mit viel Wiedererkennungswert.

Dirk Kurbjuweit: Zweier ohne. KiWi 1063. Köln 2013. (2001) 134 Seiten.

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