Samstag, 6. Dezember 2014

Der Kreis (CH 2014)


Regie: Stefan Haupt

Mit: Matthias Hungerbühler (Ernst), Sven Schelker (Röbi), Anatole Taubmann, Marianne Sägebrecht, und mit Ernst Ostertag und Röbi Rapp (als sie selbst)


Zürich in den Fünfzigern. Da denken manche an Saubermännertum, verklemmte Anständigkeit, an hysterisches kollektives Teppichgeklopfe und das pünktliche Elf-Uhr-Geläute, das Max Frischs renitentem Ich-Revolutionär Anatol Stiller so schön auf den Magen schlägt.
Ja, aber. Dass die vermeintlich biedere Kaufmannsstadt über viele Jahre eine verhältnismäßig freiheitliche Oase für Schwule aus ganz Europa war, davon erzählt dieser Film. Und wie es dazu kam, dass diese liberale Haltung verloren ging und eine Phase öffentlicher Schwulenfeindlichkeit ihren Anfang nahm. Und wann das? Haha. In den ach so wilden Jahren der Sechziger. So viel zu unserem differenzierten Geschichtsbild.

›Der Kreis‹ dreht sich um ein Liebespaar und um den stillen Kampf schwuler Zürcher um ihr Recht auf Gemeinschaft und Schutz. Ein sehr bewegendes und schön anzusehendes Stück Zeitgeschichte, in dem Historizität und Fiktion eine gelungene Verbindung eingehen. Die Figuren spielen außergewöhnlich unverkrampft und zeigefingerfrei, auf stereotype Rollen mit Ausrufezeichen wird dankenswerterweise komplett verzichtet – erspart wird uns DER Polizist, DIE Schlummermutter, DER Schulleiter oder DER Hauswart. Okay, DIE Mutter mag vorkommen, aber die Miene, mit der sie die geschenkten Blumen wortlos auf den Kaminsims tropfen lässt, die ist das Klischee wert.  

Der angehende Französischlehrer Ernst Ostertag ist schwul. Mit seinen Schülerinnen liest er ›L'étranger‹ statt ›irgendwas aus dem 18. oder 19. Jahrhundert‹, wie ihm sein Schulleiter dringend rät. Der hat den Camus zwar nicht gelesen, weiß aber ganz sicher, dass der Existenzialismus irgendwie mit dem Kommunismus verbandelt sei. Das Fremde ist eben das Andere ist eben der Feind.

Dann lernt Ernst den einige Jahre jüngeren Röbi kennen, der als blonde Marilyn Chansons zum besten gibt, dass es eine Freude ist. Röbi, der sich selber einen ›Sauschwaben‹ nennt, ist tagsüber Frisör und muss fürchten, vergebens auf eine Schweizer Staatsbürgerschaft zu hoffen, denn sein miesepetriger Chef macht ihn bei den Behörden schlecht. Seine Mutter (Marianne Sägebrecht) hingegen ist so fürsorglich wie tolerant und bietet ihm eine sichere Heimat.

Kennengelernt haben sich die beiden am Herbst-Ball, der alljährlich von Rolf organisiert wird. Rolf heißt eigenlich Karl Meier und leitet seit 1943 die Zeitschrift für Schwule namens ›Der Kreis‹, deren Abonnenten er schützt, indem er ihre Namen unter Verschluss hält. Gemeinsam mit einigen Helfern verlegt und verteilt er das schön gemachte dreisprachige Heft, das sich besonders bei den Abbildungen peinlich genau an die geltenden sittlichen Auflagen hält. So darf ein Mann untenrum nur dann nackt dargestellt sein, wenn es sich um eine Zeichnungen oder ein Gemälde mit künstlerischem Anspruch – zum Beispiel im antikisierenden Stil – handelt.  

Im Gegensatz zu Deutschland war Homosexualität unter Erwachsenen in der Schweiz nicht strafbar. Was nicht heißt, dass sie öffentlich toleriert war. Ernst steckt an seiner Schule mitten im Wahlverfahren. Will er eine Anstellung als Beamter, die ihm mehr Schutz bietet, muss er höllisch aufpassen. Nicht einmal seine Familie weiß um sein Schwulsein. Weil er sich aber nicht komplett verleugnen will und kann, geht er manches Risiko ein, wird Abonnent der Zeitschrift und geht auch an den einen oder anderen Anlass, den die community organisiert. 

Auf einem Pisssoir kommt es eines abends zu einer Begegnung, die es zu vermeiden gegolten hätte. Und ganz richtig, das ist jetzt ein Cliffhanger! 

***

Stefan Haupts Zürich orientiert sich, was den Charme betrifft, am Paris aus ›Amélie de Montmartre‹ – die meisten Szenen spielen in der verwinkelten Altstadt, die sich sehr hübsch ausmacht, vor allem in engen möblierten Zimmern, Bars und Küchen. na gut, die Schwulen mögen es ja eng, wie die handfeste Bartante hinterm Tresen mal augenzwinkernd bemerkt, als es darum geht, dass die Partys aus den Lokalen verbannt werden und man auf private Wohnungen ausweichen muss. Es darf gelacht werden.   

Die sehr kurzweilige Zeitreise wird immer wieder von Interviewausschnitten unterbrochen, in denen vor allem Ernst Ostertag und Röbi Rapp die gespielten Szenen erläutern, bekräftigen und ergänzen. Die beiden sind das, was man hierzulande herzig, in Deutschland vielleicht rührend nennt, zwei gesetzte, etwas bieder wirkende, Herren, die mit ihrer herzwärmenden Art den Film um eine unersetzliche emotionale Dimension und Authentizität erweitern. Das Ganze geschieht ganz unaufdringlich, der Film kommt ohne Empörergesten, ohne billiges Moralisieren aus, setzt stattdessen auf leise Töne und starke Gesichter.

›Der Kreis‹ ist deshalb auch unbedingt zu empfehlen, er öffnet einem auf sehr kluge und einfühlsame Weise die Augen für ein Kapitel unserer Zivilisation und ein Thema, das unbedingt in die Mitte unseres Bewusstseins gehört.

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