Montag, 16. Juli 2012

Hardcore (Griechenland, 2004)



Regie: Dennis Iliadis
Mit: Katerina Tsavalou (Martha, rechts) und Danae Skiadi (Nadja, links)

Trailer

Griechenland im Jahr 2012. Während Europa das Land noch zu retten versucht, haben es die Götter bereits längst sich selbst überlassen. Es muss Jahre her sein, dass sie sich definitiv in den Olymp zurückgezogen haben, mittlerweile womöglich die Cayman-Islands oder sonst irgendeine Steueroase. Das einzige, was sie dem Land hinterlassen haben, ist der Sex, das Bedürfnis danach und der Handel damit. Keine Liebe, nirgends, nur Sex. Das ist in etwa der Eindruck, der bleibt, wenn man sich den experimentellen, grellen, rauhen und melancholischen Hardcore ansieht, das Spielfilmdebüt von Dennis Iliadis, eine böse Parabel über die Suche nach der Erfüllung des großen Traums, die nie über den nackten Sex hinauskommt.




Martha, gerade mal 17einhalb, erzählt uns die Geschichte ihrer Freundschaft mit Nadja (16), eine Freundschaft, die einer Notgemeinschaft entspringt. Beide schaffen an, hängen in einem düsteren Bordell rum, von wo aus sie von ihrem Zuhälter in irgendwelche schäbigen Wohnungen und an Partys geschickt werden, wo sie mit schwitzenden, behaarten männlichen Körpern kollidieren, die zumeist gesichtslos bleiben. Oft sind es mehrere auf einmal, oder aber die Montage illustriert die Austauschbarkeit dieser tierhaften Träger eines offensichtlich nicht endenwollenden omnipräsenten Wunsches, sich in eine möglichst junge, willige, unbekannte Frau zu stoßen, die danach bitte nicht reden soll, schon gar nicht von sich und ihrem Leben. Einmal sieht man nur Nadjas Gesicht in groß auf Kissen mit wechselnden Mustern, ihre Miene ausdruckslos. Man wähnt sich näher bei ihr als die jeweiligen Freier, denen sie gerade ihren Körper überlässt. Sex kann so trostlos sein. Dennoch scheint es gerade ihr Spaß zu machen, das behauptet sie jedenfalls gegenüber Martha, die so orientierungs- wie lustlos vor sich hinvegetiert – und auch weniger Umsatz macht als die jüngere und selbstbewusstere Nadja. Der Zuhälter hat ein Zettelsystem, in welchem verschiedene Farben für die unterschiedlichen Gütegrade der Freier, sprich der Tarife, stehen. Gelb heißt arm, gerade mal 30 Euro, nur die Hälfte, bleiben der Frau Frau. Lila heißt 100, mehr als das Dreifache. Wer nur gelbe Auftragszettel bekommt, hat sich zu wenig angestrengt und muss sich hocharbeiten, d.h. den Freiern Lust und Freude an der Sache vorspielen. Zusätzlich gibt’s regelmäßig Amphetamine vom Pillendoktor, der die Belegschaft besucht wie früher der Zahnarzt die Primarschulklasse. Schön zudröhnen, dann ist Ruhe im Karton.



Die allseits begehrte Nadja sieht den Job als spaßige Zwischenstation auf dem Weg nach oben, das Elternhaus fackelte sie ab, als sie ging. Sie hält sich den erfolgreichsten Callboy des Hauses als Sexpartner, um die Freude am Gewerbe nicht zu verlieren, gleichzeitig sucht sie die intime Freundschaft zu Martha, bald schon teilen sich die beiden Frauen eine Wohnung. Doch Nadja sieht ihren Traum nicht wahr werden, sie erkennt die Schwierigkeit des nächsten Karriereschrittes und greift nach drastischen Mitteln. Ihre Skrupellosigkeit ist dabei weniger erschütternd als die ohnmächtige Passivität der zusehenden Martha. Sie sehnt sich nach einem normalen Leben, fragt Nadja, ob sie später nicht mal Familie wolle, ein Kind. Es stellt sich die Frage: Wie steigt man aus der Szene aus, wie aus der Rolle, in die man sich eingepasst hat? Was macht das mit deiner Seele, wenn du ein Jahr deines Lebens in der Vorhölle gelebt hast? Kann man sie hinter sich lassen und wann ist der point-of-no-return erreicht?



Nein, Hardcore ist kein lustiger Film, aber er ist auch nicht nur belastend, sondern lebt sehr von der fröhlichen Unbekümmertheit Nadjas, eine starke Performance. Und er ist ästhetisch fotografiert, auf eine immer wieder verblüffende, kreative, expressionistische Weise. Mindestens zweieinhalbtausend Jahre entfernt von dem weißblauen Postkarten-Griechenland, sieht man die Sonne in diesem weitgehend ortlosen Paralleluniversum nur selten. Künstliche, knallige Farben kaschieren die Unwirtlichkeit der vielen Flurhallen und Zimmer und trotzen der Trostlosigkeit. Cool geschnittene Kleider und sehnige, bewegliche  Körper suggerieren Selbstbewusstsein und Aufbruch. Um so mehr hofft man mit den beiden jungen Frauen, dass sie sich aus dieser klaustrophobischen Enge rauskatapultieren.



Kürzlich wurde in der ZEIT die griechische Filmszene als die derzeit innovativste und mutigste Europas bezeichnet. Ich kann mich ehrlich gesagt gar nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal einen Film aus Griechenland gesehen habe, ich glaube, es war Eleni und das war 1985. Wow. Allerdings belehrt mich Wikipedia, dass Eleni eine amerikanische Produktion (mit John Malkovich) ist und nur in Griechanland spielt. Also doch Zorbas the Greek? Als der in die Kinos kam, war ich noch ein Quark im Schaufenster, ich kenne ihn von irgendeinem schwarzweißen Fernsehabend meiner Kindheit auf dem Sofa neben Oma. Kann das sein? Es möge mir jemand einen griechischen Film nennen! Ist schon etwas seltsam, wie wenig man über das derzeit meistdiskutierte Land Europas weiß, abgesehen von seiner nicht gerade zeitgenössischen Mythologie und den günstigsten Inselangeboten für den Schnellurlaub.
Hardcore hat mich nun neugierig werden lassen auf das neue Filmgriechenland. Krisenhafte Zustände soll ja die Kreativität der Künstler anregen. Gemessen an Filmen wie diesen muss es schon vor acht Jahren ziemlich schlimm gestanden haben um die Griechen. Andererseits: Was für tolle Filme erwarten einen in ein, zwei Jahren, wenn die gegenwärtige Krise bereits wieder Teil der Geschichte geworden ist? Das ist nicht so zynisch gemeint, wie es klingt. Solange aus Europas Wiege der Kultur solche eindringlichen Filme kommen, muss man sich vielleicht auch nicht solche Sorgen machen. Denn gute Filme müssen nicht teuer sein. Siehe Hardcore.

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