Montag, 30. Juli 2012

›Limitless‹ (USA 2011)



Regie: Neil Burger 

☞ Trailer

Asterix, Ritalin und Erec: alles schon dagewesen 

Was wäre, wenn Julius Cäsar und seine Römer über den Zaubertrank verfügten, nicht nur das kleine gallische Dorf mit seinen unbeugsamen Bewohnern? Die berühmte Comicreihe, deren Zeichner kürzlich seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, erzählt mehr als einmal davon, wie die Römer vergeblich versuchen, Miraculix das Rezept abzuluchsen. Der Zaubertrank an sich und der Umstand, dass ihn nur eine Handvoll Gallier besitzen, stellt die wesentliche Voraussetzung der Erfolgsgeschichte von Asterix dar. Bei Hitchcock heißt so etwas ›MacGuffin‹, ein dramaturgische Voraussetzung, bei der gilt: Nicht fragen, hinnehmen! Wer wird schon so kleinlich sein, und eine so schöne Idee hinterfragen? Dann gäbe es doch keine Geschichte? 


Eigentlich ist der Zaubertrank eine Droge, Miraculix der Dealer, Asterix ein Junkie, und Obelix steht seit seiner Kindheit unter ihrem Einfluss, was ihn primitiv und gewaltbereit macht; warum sonst muss er seine Aggressionen beim ewigen Hauen von unhandlichen Menhiren abreagieren, wenn nicht gerade ein Römer seinen Weg kreuzt? Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass bei all den zeitgenössischen Kritikern von Grimms Märchen, die ja angeblich unsere so supersensiblen Kinder traumatisieren, noch niemand auf die Idee gekommen ist, Asterix zu verbieten, wo ohne toxischer Substanzen und roher Gewalt keine Handlung mehr übrig bliebe. 



Oder sind wir toxischen Substanzen gar nicht so abhold? Zumal wenn sie etwas Gutes bewirken? Gutes wie … Erfolg, Geld, Anerkennung? Dazu muss man in olympischen Zeiten nicht mal das Doping im Leistungssport bemühen, man wird sogar in Kinderzimmern fündig. Immerhin hat Ritalin eine steile Karriere in unseren Breitengraden hinter sich; als bewährtes Mittel zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit ist es zu einer Art legalen Modedroge geworden und wird schon lange nicht mehr bloß von Kindern und Jugendlichen genommen, die unter ADHS leiden. Sein Verbreitung und Akzeptanz kann man getrost als Symptom unser aller Wunschtraum verstehen, das eigene Leistungsvermögen zu optimieren und den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, die andere und wir selbst an uns stellen. 



Limitless denkt einen reizvollen Gedanken weiter, wenn auch – leider – nicht zu Ende: Was wäre, wenn ich mal das komplette Leistungspotenzial meines Gehirns ausschöpfen könnte? Schneller, intensiver und präziser wahr- und aufnehmen, kombinieren und Wissen abrufen könnte? Was steckt in mir drin, wozu habe ich das Zeug? Laut Einstein nützen wir ja nur einen Bruchteil von unserer Kapazität und leben, was das betrifft, auf Sparflamme. Was ließe sich aus mir rausholen? Und bin das dann noch ich oder ist das ein anderer? 



Die Geschichte ist rasch erzählt. Es geht um den Aufstieg eines Nobodys mit zwischenzeitlichem Fall und einem gruseligen Ende. Eddie Morra (Bradley Cooper, er macht seine Sache gut) hat zu Beginn zwei Dinge und eins nicht mehr: er hat einen Buchvertrag, eine Schreibblockade, und gerade hat ihn seine Freundin verlassen. Er ist arm, aber unsexy, berlinerisch gesprochen. Dann gerät er zufällig in den Besitz einer einzelnen durchsichtigen kleinen Pille namens NZT, und so harmlos wie sie aussieht, so rasch landet sein fertiger Roman auf dem Tisch seiner Verlegerin, dass ihr hörbar der Kiefer runterklappt. Yes. Doch nicht nur das: In Windeseile entwickelt er sich vom Loser zum Alles-Checker – und das ist wörtlich zu nehmen. Egal ob Fremdsprache – Ta-taaaa –, medizinisches Fachwissen – Ta-taaaa, Nahkampf – Ta-taaaa –, oder High Finance – Tatata-taaaa. Eddie schafft sie alle. Yes. Einfach toll, dieser Eddie. Frohgemut und ein klein wenig skeptisch begleiten wir ihn auf seinem steilen Weg nach oben, die Freundin liegt schon lange wieder in seinen Armen, die unaufgeräumte Studentenbude ist einem Penthouse aus Glas und Stahl gewichen, Robert de Niro als Big Boss eines führenden Unternehmens wirbt um Eddies Dienste, alles tutti. Wer würde da nicht nach Nachschub verlangen?



Doch der Erfolg ist zu groß, um dem Ex-Loser nicht zu Kopfe zu steigen. Gleichzeitig droht ihm auf der Überholspur die Kontrolle abhanden zu kommen, zu hoch ist das Tempo. Und außerdem interessieren sich noch andere Leute für NZT. Das wird zu einem zweiten Topos des Films: Wer alles weiß eigentlich von diesem Wundermittel? Etwa auch Julius Cäsar? Oder nur die kleinen Eddie Morras dieser Welt? Und wie wird Eddie mit den Problemen umgehen, die da auf ihn zukommen? Wir dihn seine Freundin noch lieben, auch wenn er mit dem alten Eddie kaum noch etwas gemein hat außer die Schuhgröße? 



Die Geschichte des unterbrochenen Aufstiegs ist uralt und verbindet Eddie Morra mit einer der berühmtesten Figuren der hochmittelalterlichen Literatur: Hartmann von Aue erzählte um 1200 in seinem Versepos Erec von einem gleichnamigen Ritter, dem alles gelingt: er gewinnt alle Turniere, erbt ein Schloss, erobert das Herz einer alles andere als mittelalterlichen bombshell – und begibt sich mit ihr in den Vorruhestand. Sex and Drugs and Rock’n’Roll, und das 800 Jahre vor Mick Jagger, Kurt Cobain etc.. Das Problem: Selbsttäuschung. Undankbarkeit. Gott als Urheber von allem. Der vom Erfolg geblendete Ritter redet sich ein, das Erreichte sei sein Verdienst und stünde ihm zu, einfach weil er er ist. Prompt holt ihn die göttliche Vorsehung auf den Teppich zurück und führt in durch ein Tal der Tränen, bis hart an die Grenze zwischen Leben und Tod. Man glaubt beim Lesen bereits den gleichbleibenden Pfeifton des Herzfrequenzmessers zu hören – das ist dann der Moment der Läuterung und der zweiten Chance. 


Und bei Limitless? Auch Eddie Morra droht die Strafe für seine Hybris, den Größenwahn, die narzisstische Selbsttäuschung. Den Vergleich mit Hartmann von Aue verliert das Drehbuch allerdings, dazu ist es zu wenig radikal, zu geschmäcklerisch, zu konventionell. Der Film ist sehr zeitgeistig, aber er verweigert sich einer Stellungnahme zur Problematik der leistungssteigernden Substanz. Das kann man seinen Machern übelnehmen oder nicht, eine verpasste Chance ist es auf jedem Fall. Aber ein spannender, gut gemachter Thriller, das ist es trotzdem.


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