Regie:
Susanne Bier
in starker,
ein sensibler, ein melancholischer Film, ein Film, der sich einem einprägt. Ich
spüre es genau, ich bin jetzt versucht, ein Plädoyer für solche Drehbücher zu
halten, die wie ein Schlag in die Magengrube wirken, aber ich tu es nicht, eine
besondere Form des Tinnitus hindert mich daran: eine Stimme im Hinterkopf, die flüstert:
›Heuchler, Prophet in der Wüste‹ und ähnlich unschöne Dinge. Denn natürlich, I confess, man kann konsequent engagierte
Filme wie Elsker dig for evigt nicht
mit derselben Ruhe genießen (und ergo bedenkenlos empfehlen) wie – sagen wir – Les intouchables (Olivier Nakache &
Eric Toledano; F 2011). Letzterer, die kommerziell erfolgreiche Komödie über
den querschnittgelähmten Reichen und unterprivilegierten Gesunden, ruft uns zu:
Hey, ob du laufen kannst oder nicht, schwarz bist oder weiß, alles nicht so
schlimm, alles eine Frage der richtigen Einstellung. Leb dein Leben. Ausrufungszeichen.
Sieh nach vorn. Ausrufungszeichen. Just do it. Undsoweiter. Und wer es bis dann
noch nicht glaubt: Hey, es ist eine wahre Geschichte. Na dann, dann muss es ja
wahr sein, was da suggeriert wird. Nein, nichts gegen diesen Ansatz, Humor als
Regenschirm der Weisen, Katharsis durch Lachen, die Nähe von Tragödie und
Komödie, schon klar. Dennoch langweilt mich daran die so absehbare wie penetrante
Mischung von Rührseligkeit und Fingerzeigerei mehr, als dass sie mich zu unterhalten
vermag oder gar bewegt. Und ich will
manchmal von Themen bewegt werden, gerade solchen, die nah am Leben sind. Wie
Krankheit, Verlust und Tod.
Elsker dig for evigt tut das, und
darin erinnert der Film an Schulddramen
wie Wolfsburg (D 2000) von Christian
Petzold, mit Nina Hoss (atemberaubend) und Benno Führmann, oder an den
fulminanten 21 grams von Alejandro González Iňárritu (USA 2003, mit Sean
Penn, Naomi Watts, Benicio Del Toro Charlotte Gainsbourg). Alle drei erzählen auf kompromisslose Weise davon, was
Verkehrsunfälle mit unseren Leben anstellen und in unseren Seelen anrichten.
Willkommen in Dogma-Land. Wo man die Gnade der Drehbuchschreiber für
trostbedürftige Herzen beim Eingang an der Garderobe hängen sieht. Die
Geschichte beginnt mit einem Faustschlag, dass einem der Atem stockt. Ein
kleiner Moment der Unaufmerksamkeit – und schon hat ein junger Mann seine
Zukunft verloren, jedenfalls die, die er sich als einzige vorstellen kann, als
körperlich unversehrter Mensch. Vom Hals abwärts gelähmt liegt Joachim in seinem Krankenhausbett
und wie ein verwundetes Tier knurrt er alle an, die sich ihm nähern, besonders
Krankenschwester Hanne – und seine Freundin Cecilie. Diese ignoriert das verwirrt,
interpretiert es als Hilferuf, versucht nach dem ersten Schock umzuschalten,
will ihm zeigen: Ich bin für dich da, ich liebe dich, wir schaffen das. Man hat
seine Zweifel, denn so sehr sie sich das vielleicht wünscht, so sehr spürt man:
sie weiß nicht, was sie da sagt. Beide sind komplett überfordert. Wer wäre das
nicht. In poetischen kleinen Einschüben erfahren wir etwas über die
Wunschträume Cecilies. Wie er seine Hand nach ihr ausstreckt. Lächelt.
Das war
einmal. Ein Schnitt holt uns zurück in die Wirklichkeit, die neue Wirklichkeit,
und wir merken, wie nahe sich die beiden inkommensurablen Wirklichkeiten sind,
wie nahe wir selbst am Abgrund stehen. Das Reale zeigt uns seine Fratze. Da kann man schon mal an Büchner denken, z.B. Dantons Tod: »[D]ie Erde ist eine dünne Kruste, ich meine immer ich könnte
durchfallen, wo so ein Loch ist.« Wie lange versucht sich ein Mensch vorzumachen,
dass die bekannte Wirklichkeit nicht mehr zu haben ist? Einmal zieht sich Cecilie
vor ihm aus, präsentiert ihm ihren nackten Körper in der neckischen Reizwäsche,
die er ihr noch als Unversehrter gekauft hatte. Sie will sich ihm begehrenswert
zeigen, will ihn erinnern, bietet sich an, ein untauglicher Versuch, nein, ein kontraproduktiver,
es quält ihn, und sie versteht nicht, drängt ihm ihre Nähe auf, zieht seine
erschlafften, aber noch kräftig wirkenden Arme auf ihren Körper, doch sie gleiten
natürlich ab. Der Film erzählt mit mehreren solcher Bilder und Episoden, wie
ohnmächtig der himmeltraurige Joachim plötzlich der ebenso ohnmächtigen Cecilie
ausgeliefert ist. Weglaufen kann er ja nicht. Also bleibt ihm nichts anderes
übrig, als sie so lange anzuschreien, bis sie geht. Das nackte Grauen.
Szenenwechsel:
Marie, vor deren Auto Joachim lief, ist am Boden zerstört. Ihre älteste
Tochter, die pubertierende Stine, hatte sie gedrängt, schneller zu fahren, nun
macht sich Marie Vorwürfe und will helfen, irgendwie. Ihr Mann Niels, Arzt in
dem Krankenhaus, in dem Joachim liegt, erklärt ihr, dass es da nichts zu helfen
gibt. Als aber Cecilies Verzweiflung zusehends das Krankenhauspersonal in
Schach hält, fordert Marie Niels auf, sich wenigstens um die junge Frau zu
kümmern, und sei es miten in der Nacht. Das tut er dann auch, aber anders, als
Marie denkt. Aus Kontingenz entwickelt sich Biologie, aus der Zufälligkeit
eines Moments der Unachtsamkeit gerät eine vermeintlich feste Welt ins Wanken.
Der Film bewegt sich fortan vorwiegend an zwei Schauplätzen, der möbel- und
sinnentleerten Wohnung Cecilies und der bedrohten Familienidylle des Ehepaars.
Und er bewegt sich vor allem ständig an der Grenze der diversen Möglichkeiten,
die sich aus der Exposition ergeben. Ohne Partei zu ergreifen, erzählt er von
dem, was den Figuren geschieht, wie sie schwanken, wie sie nicht begreifen,
nicht fertig werden, wie sie ausschlagen, verdrängen. Alle sind überfordert, und alle fühlen sich irgendwie schuldig.
Eine der
Stärken des Films liegt in seiner elliptischen Erzählweise, manches wird bewusst
offengelassen. Hat sich Niels verliebt? – und falls ja, nur in Cecilies
Schönheit und Jugendlichkeit oder weil sie ihm so entgegenkam in ihrer
Bedürftigkeit und ihm damit eine verantwortungsvolle Rolle zuschrieb? Hat
Cecilie sich ihrerseits nur in den rettenden Engel in ihm verliebt, in seine
Umarmung, ist er bloß ein Sprungbrett, um aus ihrem Dilemma herauszukommen?
Oder ist sie gar ein oberflächlicher Mensch mit flüchtigen Gefühlen? Das Konsequente
am elliptischen Erzählen ist in diesem Fall, dass die beiden selber die
Antworten nicht kennen, denn etwas ist ihnen geschehen, worauf sie nicht
vorbereitet waren, also legt sich das Drehbuch auch nicht fest.
Eine
weitere Stärke ist die Besetzung. Die dänischen Schauspielakademien haben wirklich
einige begnadete Schauspieler hervorgebracht. Mads Mikkelsen, international bekannt
geworden durch seine Rolle als James-Bond-Bösewicht in Casino Royal (Martin Campbell, GB 2006), spielt den unschlüssigen
Ehemann und Vater dreier Kinder wunderbar zurückhaltend, man liest neugierig in
seinem oft verschlossenen Gesicht mit der trotzigen Oberlippe, das sich oft der
billigen Eindeutigkeit verweigert. Ebenso beeindruckend ist die Frau mit dem
wunderbaren Vornamen, Paprika Steen, als Marie. Sie spielte unter anderem in
Thomas Vinterbergs legendären Dogmafilm Festen (1999) die weibliche Hauptfigur als Ulrich Thomsens depressive Schwester. Aber
auch die Nebenfiguren sind stark besetzt, z.B. treibt die junge Stine
Bjerregard als aufmüpfige Tochter die Handlung mit ihrer wütenden
Jugendlichkeit voran. Sie begreift lange vor der Mutter dass der Vater etwas zu
verbergen hat, und setzt ihm die Pistole auf die Brust.
Die bewegendsten
Momente gehören für mich der Mimik des regungslos daliegenden Joachim und seinen
wütenden Dialogen mit der Krankenschwester Hanne. Good Bye Method Acting. Selten
habe ich so ungeschönt in einem Film gesehen, was ein Schicksalschlag mit uns anrichtet,
die Bitternis, die er in uns auslöst. Unglaublich starke Momente sind das. Die
souveräne und doch verletzliche Hanne wird übrigens von Birthe Neumann gespielt,
die in Festen die schwierige Rolle
der Ehefrau eines inzestuös veranlagten Patriarchen spielte.
Es ist eine
schöne Sache, einen Dogmafilm zu finden, den man noch nicht kennt. Susanne
Biers Nach der Hochzeit (Efter brylluppet, Dänemark 2006) und Zwischen Brüdern (Brødre, Dänemark) sind im Übrigen beide ebenso empfehlenswert.
Quelle:
Georg Büchner: Dantons Tod (ersch. 1835), 2. Akt, 2. Szene. In: Georg Büchner. Werke und Briefe. dtv München 1988, S. 95.
Quelle:
Georg Büchner: Dantons Tod (ersch. 1835), 2. Akt, 2. Szene. In: Georg Büchner. Werke und Briefe. dtv München 1988, S. 95.
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