Skenbart – en film om tåg
(Verschwörung im Berlin-Express)
Schweden, 2003. Regie: Peter Dalle
Schon
wieder ein schwedischer Film. Das erübrigt die Frage, in welches Fach ich beim letzten
Besuch meines Videoverleihs gegriffen habe. Wurde mir allerdings erst wieder beim
Betrachten der jeweiligen DVD-Menus bewusst. Diesen habe ich mir in zwei Tranchen
angesehen. Er verträgt das, man kommt wieder rein.
Die
Schweden kochen ihr ganz eigenes Süppchen. Was für ein durchgeknalltes Drehbuch!
Was für Figuren. Verschwörung im
Berlin-Express kommt als Film Noir daher und macht mutige freche Anleihen beim
Genre. Zum Beispiel spielt er vorwiegend im Zug (siehe Titel), dadurch entsteht
so eine klaustrophobische Kammerspielenge, das ist immer gut für Thriller.
Hitchcocks Stranger on an train mag
Pate gestanden haben, aber dafür gibt es noch x andere Beispiele. Der Zug –
eigentlich passte hier das altertümliche ›Eisenbahn‹ besser – wird auch von
außen kitschig-schön in Szene gesetzt, mehrmals darf er wie ein Ungetüm nach
bester Manier über die Kamera hinwegdonnern. Gewalt! Technik! So ein beliebtes
Motiv, aber immer wieder hübsch, besonders in intelligenten Drehbüchern wie
diesem. Eisenbahn – Schwermetall – Schwerkraft: Hauptmanns schöne Novelle Bahnwärter Thiel läßt grüßen, das
fauchende Monster mit seinen glühenden Augen, das sich durch den Brandenburger
Wald wuchtet. So viele Tonnen Stahl, und daneben das kleine bisschen Mensch. Kann
man da nicht wahnsinnig werden? Hier im Film sind wir noch nicht in Brandenburg
angekommen, sondern befinden uns irgendwo in nächtlichen Südschweden. Natürlich
schneit und stürmt es unentwegt. Wilde Natur! Ausgesetzt! Metapher! Und einmal,
und das ist gaaaanz magisch, verlässt die Kamera den fahrenden Zug durch ein
Fenster und lässt ihn allmählich an sich vorbeibrausen, wow, das ist wirklich
großartig pathetisch.
Eine
weitere Referenz an das Genre sind die ungewöhnlichen Großaufnahmen von Details,
das markante Kinn des männlichen Bösewichts, Türklinken, Gläser mit ominösen
Inhalten etc.. Wem da Billy Wilders Double
Indemnity in den Sinn kommt, liegt richtiger, als er denkt. Und damit
kommen wir zur Handlung.
Es
ist 1945. Ein Arzt plant mit seiner jungen Geliebten den Mord an seiner Frau. Und
zwar soll die wildmähnige blonde Schöne die züchtig frisierte Gattin aus dem
Zug stoßen, derweil der Veranstalter des Ganzen im Abteil wartet. Eigentlich hatte
er ja gar nicht die Absicht, mitzufahren, aber die fragile, zartbesaitete femme fatale erlitt beim Einsteigen
einen ethischen Verzweiflungsanfall und zack! schon setzte sich der Zug in
Bewegung – und mit ihm der böse Gatte. Schicksal. Natürlich nonstop. Ohne Halt
Richtung Berlin, die zerstörte Stadt.
Warum
der Mord? Weil seine Gemahlin so hübsch und verliebt und sympathisch ist, nimmt
man mal an, es geht irgendwie um Geld. Warum sollte man eine so eine gestylte
Mittdreißigerin sonst loswerden wollen? Klar, die jüngere Geliebte ihrerseits ist
sehr, seeehr hübsch, allerdings scheint der Mann sie mehr besitzen und
beherrschen zu wollen, als dass er sie liebt. Und überhaupt zeigt er durchwegs
eine finstere Miene und schwitzt ohne Ende, das macht ihn so richtig schön
unsympathisch. Das wilde Tier. Und dann noch Arzt! Trau schau wem. Die tragen
doch ständig irgendwelche Spritzen und Pillen in ihrer Westentasche herum,
jedenfalls in gewissen Genres. So auch er. Die Einstellung, auf die man wartet:
Im Vordergrund die Giftspritze und dahinter die Visage des Finsterlings, der
mit schnippendem Zeigefinger die Dosierung reguliert. Sie wird nicht fehlen,
ganz bestimmt nicht. Herrlich, dass der Film das so ausreizt. Denn jetzt kommt’s:
Verschwörung im Berlin-Express ist gar
kein Thriller. Es ist eigentlich mehr Slapstick als Film Noir, mehr Marx
Brothers als Hitchcock. Und in Sachen Billy Wilder mindestens so viel One Two Three und Some like it hot wie Double
Indemnity oder Sunset Boulevard. Da
gibt es einen Kriegsversehrten, der mit absurdem Optimismus durch den Zug
taumelt. Er muss den Vergleich mit dem hübsch unglücklichen Nordberg (O.J.
Simpson!) aus dem legendären The Naked
Gun (Teil 1) nicht scheuen. Einen Schaffner, der zu seinem Zug eine
Beziehung wie kleine Kinder zu ihrem Kuscheltier pflegt. Ein älteres,
ungleiches schwules Paar, der eine ist ein misogyner Zyniker, der andere ein
liebenswürdiger, moralisch angeknackster Exlebemann, der unter der Schroffheit
seines Partners leidet. Ferner eine vom Leben gegerbte ältere Dame mit Hang zu
geistigen Getränken. Eine bekehrte Nonne und Krankenpflegerin, die Gott zürnt,
dass es kracht. Und vor allem ein tolpatschiger Weltverbesserer, der einen
Narren an Wittgenstein gefressen hat – und an sich selbst verzweifelt.
Und
der Ausgang dieses wilden schwedischen Cocktails der Inkommensurabilitäten? Na
ja, es kommt ganz anders, als man sich das denkt. Latürnich.
Übrigens,
weil ich vorhin von der Klaustrophie der Zugthriller gesprochen habe: Hitchcock
hat mal beweisen wollen, dass ein Film auch spannend sein kann, wenn er von a
bis z in einem Rettungsboot spielt (›Lifeboat‹), ganz ohne versteckte Ecken und
düstere Tavernen. Nachzulesen im schönen Interviewbuch Hitchcock by Truffaut (deutscher Titel: Herr Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?) aus dem Jahr 1962.
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