Samstag, 14. Juli 2012

Skenbart – en film om tåg (Verschwörung im Berlin-Express)

Skenbart – en film om tåg 
(Verschwörung im Berlin-Express)

☞  Trailer

Schweden, 2003. Regie: Peter Dalle


Schon wieder ein schwedischer Film. Das erübrigt die Frage, in welches Fach ich beim letzten Besuch meines Videoverleihs gegriffen habe. Wurde mir allerdings erst wieder beim Betrachten der jeweiligen DVD-Menus bewusst. Diesen habe ich mir in zwei Tranchen angesehen. Er verträgt das, man kommt wieder rein.
Die Schweden kochen ihr ganz eigenes Süppchen. Was für ein durchgeknalltes Drehbuch! Was für Figuren. Verschwörung im Berlin-Express kommt als Film Noir daher und macht mutige freche Anleihen beim Genre. Zum Beispiel spielt er vorwiegend im Zug (siehe Titel), dadurch entsteht so eine klaustrophobische Kammerspielenge, das ist immer gut für Thriller. Hitchcocks Stranger on an train mag Pate gestanden haben, aber dafür gibt es noch x andere Beispiele. Der Zug – eigentlich passte hier das altertümliche ›Eisenbahn‹ besser – wird auch von außen kitschig-schön in Szene gesetzt, mehrmals darf er wie ein Ungetüm nach bester Manier über die Kamera hinwegdonnern. Gewalt! Technik! So ein beliebtes Motiv, aber immer wieder hübsch, besonders in intelligenten Drehbüchern wie diesem. Eisenbahn – Schwermetall – Schwerkraft: Hauptmanns schöne Novelle Bahnwärter Thiel läßt grüßen, das fauchende Monster mit seinen glühenden Augen, das sich durch den Brandenburger Wald wuchtet. So viele Tonnen Stahl, und daneben das kleine bisschen Mensch. Kann man da nicht wahnsinnig werden? Hier im Film sind wir noch nicht in Brandenburg angekommen, sondern befinden uns irgendwo in nächtlichen Südschweden. Natürlich schneit und stürmt es unentwegt. Wilde Natur! Ausgesetzt! Metapher! Und einmal, und das ist gaaaanz magisch, verlässt die Kamera den fahrenden Zug durch ein Fenster und lässt ihn allmählich an sich vorbeibrausen, wow, das ist wirklich großartig pathetisch.
Eine weitere Referenz an das Genre sind die ungewöhnlichen Großaufnahmen von Details, das markante Kinn des männlichen Bösewichts, Türklinken, Gläser mit ominösen Inhalten etc.. Wem da Billy Wilders Double Indemnity in den Sinn kommt, liegt richtiger, als er denkt. Und damit kommen wir zur Handlung.



Es ist 1945. Ein Arzt plant mit seiner jungen Geliebten den Mord an seiner Frau. Und zwar soll die wildmähnige blonde Schöne die züchtig frisierte Gattin aus dem Zug stoßen, derweil der Veranstalter des Ganzen im Abteil wartet. Eigentlich hatte er ja gar nicht die Absicht, mitzufahren, aber die fragile, zartbesaitete femme fatale erlitt beim Einsteigen einen ethischen Verzweiflungsanfall und zack! schon setzte sich der Zug in Bewegung – und mit ihm der böse Gatte. Schicksal. Natürlich nonstop. Ohne Halt Richtung Berlin, die zerstörte Stadt.
Warum der Mord? Weil seine Gemahlin so hübsch und verliebt und sympathisch ist, nimmt man mal an, es geht irgendwie um Geld. Warum sollte man eine so eine gestylte Mittdreißigerin sonst loswerden wollen? Klar, die jüngere Geliebte ihrerseits ist sehr, seeehr hübsch, allerdings scheint der Mann sie mehr besitzen und beherrschen zu wollen, als dass er sie liebt. Und überhaupt zeigt er durchwegs eine finstere Miene und schwitzt ohne Ende, das macht ihn so richtig schön unsympathisch. Das wilde Tier. Und dann noch Arzt! Trau schau wem. Die tragen doch ständig irgendwelche Spritzen und Pillen in ihrer Westentasche herum, jedenfalls in gewissen Genres. So auch er. Die Einstellung, auf die man wartet: Im Vordergrund die Giftspritze und dahinter die Visage des Finsterlings, der mit schnippendem Zeigefinger die Dosierung reguliert. Sie wird nicht fehlen, ganz bestimmt nicht. Herrlich, dass der Film das so ausreizt. Denn jetzt kommt’s:
Verschwörung im Berlin-Express ist gar kein Thriller. Es ist eigentlich mehr Slapstick als Film Noir, mehr Marx Brothers als Hitchcock. Und in Sachen Billy Wilder mindestens so viel One Two Three und Some like it hot wie Double Indemnity oder Sunset Boulevard. Da gibt es einen Kriegsversehrten, der mit absurdem Optimismus durch den Zug taumelt. Er muss den Vergleich mit dem hübsch unglücklichen Nordberg (O.J. Simpson!) aus dem legendären The Naked Gun (Teil 1) nicht scheuen. Einen Schaffner, der zu seinem Zug eine Beziehung wie kleine Kinder zu ihrem Kuscheltier pflegt. Ein älteres, ungleiches schwules Paar, der eine ist ein misogyner Zyniker, der andere ein liebenswürdiger, moralisch angeknackster Exlebemann, der unter der Schroffheit seines Partners leidet. Ferner eine vom Leben gegerbte ältere Dame mit Hang zu geistigen Getränken. Eine bekehrte Nonne und Krankenpflegerin, die Gott zürnt, dass es kracht. Und vor allem ein tolpatschiger Weltverbesserer, der einen Narren an Wittgenstein gefressen hat – und an sich selbst verzweifelt.
Und der Ausgang dieses wilden schwedischen Cocktails der Inkommensurabilitäten? Na ja, es kommt ganz anders, als man sich das denkt. Latürnich.



Übrigens, weil ich vorhin von der Klaustrophie der Zugthriller gesprochen habe: Hitchcock hat mal beweisen wollen, dass ein Film auch spannend sein kann, wenn er von a bis z in einem Rettungsboot spielt (›Lifeboat‹), ganz ohne versteckte Ecken und düstere Tavernen. Nachzulesen im schönen Interviewbuch Hitchcock by Truffaut (deutscher Titel: Herr Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?) aus dem Jahr 1962.

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